Werner Lang: Berndgeschichten aus der Arbeitswelt

Schematische Darstellung eines Sendzimir-Walzwerkes

Werner Lang veröffentlicht mit „Berndgeschichten aus der Arbeitswelt“ eine berührende und zugleich zur Reflexion anregende Kurzgeschichte. In ihr zeichnet er auf der Grundlage eigenem Erlebens und genauer Beobachtung der Arbeitwelt die Lebenswirklichkeit der IndustriearbeiterInnen in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Ein autenthischer Gegenentwurf zu der vonseiten der Politik lange Zeit verbreiteten Sichtweise auf Österreich als einer „Insel der Seeligen“.

Regionale Erzählung

(Übereinstimmungen mit Orten, Handlungen, Personen, sind rein zufällig.)

Rückblickend wird das Jahr 1974 in den Wirtschaftsberichten über Österreich allgemein als Zeit der Hochkonjunktur angeführt. Die Regierung Kreisky verkündete: „Hand aufs Herz, es ging uns noch nie so gut wie heute.“ Der Arbeiter Bernd war um diese Zeit im Stahlwerk „Schoeller-Bleckmann“ Standort Mürzzuschlag als Schnitzbinder beschäftigt. Er arbeitete erst seit kurzem in diesem Werk.

Davor arbeitete er in einer Brotfabrik bei Krieglach. Sie lag zehn Kilometer von seinem Wohnort, der Werkssiedlung Hönigsberg, entfernt. Da sein Gehalt als Bäcker zu niedrig war, um davon leben zu können, lag er den Eltern trotz Vollbeschäftigung noch auf der Tasche. Das heißt, sein Lohn reichte nicht für sein Auskommen aus. An eine eigene Wohnung war nicht zu denken. Darum bewarb er sich, nach Drängen seines Vaters, im Personalbüro bei Schoeller-Bleckmann Mürzzuschlag als Hilfsarbeiter, denn die Bezahlung war dort um ein Drittel höher, als bei seinem erlernten Beruf als Bäcker. Dazu kam noch, dass die Bäckerei mehr eine Dampffabrik war als eine Backstube. Sie bezeichnete sich selbst als Dampfbäckerei. Schon als Lehrling machte er die gleiche Arbeit wie die Gesellen, die dort beschäftigt waren, nur nicht so schnell. Es herrschte Arbeitsteilung. Jeder machte seine Schrittfolgen. Der Teigmischer war schon um drei Uhr in der Früh an seinem Kessel, um den Teig vorzubereiten. Bernd kam mit ein paar anderen Bäcker um fünf Uhr in der Früh in die Backstube, um den fertigen Teig zu klopfen und ihn in Form zu bringen. Alles andere erledigten die Maschinen. Das fertige Gebäck wurde in Zehnerpackungen an die Kaufhäuser ausgeliefert. Bernd ist in seiner Lehrzeit zu einem perfekten „Teigschläger“ geworden.

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Menschenrechte und Kunst

Vor 65 Jahren, am 10. Dezember 1948, hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit der Resolution 217 A (III) die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet. Der Verein webbrain widmete die Veranstaltungsreihe denkkunst/schreibkunst 2013 in Kooperation mit mel-art dieser Tatsache. Im August 2013 wurde ein Aufruf zur Einreichung von Kurztexten jeglichen Genres veröffentlicht, die den Zusammenhang … Weiterlesen

Lesewettbewerb „Wir lesen uns die Münder wund“

Zum fünften Mal findet im MARK.freizeit.kultur in Salzburg der Lesewettbewerb “Wir lesen uns die Münder wund ” statt. Die Anmeldung ist ab sofort möglich. Das MARK.freizeit.kultur, in Kooperation mit dem Literaturhaus Salzburg, sowie erostepost und Kultur & Jugend Land Salzburg bittet aus diesem Grund nicht-kommerziell publizierte JungautorInnen in die Arena der Hannakstraße 17. An insgesamt … Weiterlesen

„Verinnerlichte Beschädigungen“

Literatur aus der Arbeitswelt

Werner Lang – unter anderem Autor im Literaturblog „Duftender Doppelpunkt“ – setzt sich in seinem Text „Verinnerlichte Beschädigung“ mit der Arbeitswelt von Monteuren der Voest-Alpine in der Sowjetunion der 1980er-Jahre auseinander.

Verinnerlichte Beschädigungen

Thema: Liebe

In den Achtziger-Jahren gingen einige meiner Arbeitsreisen als Monteur – unter anderem – auch in die Sowjetunion. In Bezug auf das gestellte Thema „Geschlechtsverkehr“ kann ich mich im Nachhinein nur mehr an die Baustelle von der Voest-Alpine-Montage in Weißrussland in der Nähe von Shlobin erinnern.

Dort sollte ein riesiges Stahlwerk entstehen. Ob es jemals in Betrieb genommen wurde, habe ich bis heute nicht in Erfahrung gebracht. Mein Arbeitsvertrag lief ein paar Monate vor der Fertigstellung ab und wurde nicht mehr verlängert.

Das ganze Baustellengebiet von der „Voest“ war eingezäunt. Das Eingangstor wurde überwacht. Man konnte nur mit einem Ausweis das Baustellengelände betreten. Mit zur Baustelle gehörte das so genannte Wohngebiet. Dort standen nebeneinander gereiht und aufgetürmt Container. Die Container waren die Schlafstätten der Monteure. In jedem von diesen waren zwei Monteure untergebracht. Sie waren gerade so groß, dass zwei Betten hineinpassten. Toiletten und Waschräume waren extra in anderen Containern untergebracht. Diese waren so zwischen den Schlafcontainern angebracht, dass man sie innerhalb der Containerblöcke erreichen konnte, ohne die gegenseitig anliegenden Containerüberdeckungen zu verlassen. Ein großer Speisesaal mit Werksküche befand sich in einer eigenen Baracke. Sanitätsraum mit Wäscherei lag ein wenig abseits von den Schlafstätten. Zu gewissen Zeiten ordinierte dort auch ein russischer Arzt. Prostituierte durften von den Monteuren in den Wohnbereich von der Baustelle mitgenommen werden. Meistens waren das junge Frauen, einige davon dürften noch minderjährig gewesen sein. Die Monteure hielten sie für Zigeunerinnen. Sie bekamen von den Monteuren zu essen und zu trinken. Das Trinken bestand größtenteils aus Alkohol. Einige von den Prostituierten dürften schon Alkoholikerinnen gewesen sein. Am Abend, also nach Arbeitsschluss, wurden die jungen Mädchen in den Freizeiträumen betrunken gemacht, später in die Container mitgenommen und in den Schlafstätten durchgefickt. Morgens, vor Arbeitsbeginn wurden sie aus den Zimmern geworfen. Am folgenden Abend wiederholte sich das Spiel in anderen Schlafstätten. Tripper war die häufigste Krankheit bei den Monteuren. Der Arzt hatte sich schon darauf eingerichtet. Wenn ein Monteur zu ihm kam und nicht sagte was er hatte, bekam er vom Arzt eine – schon für diese Fälle vorbereitete – Spritze verabreicht, sagte mir einer, der es wissen musste. Doch im Verhältnis der Anzahl von Monteuren auf der Baustelle zu den sogenannten Prostituierten, konnte – mathematisch berechnet – jeder einzelne Monteur nur einmal im Monat zu einem Fick kommen, obwohl „der Strich“ in der Sowjetunion billiger war als in Österreich. Das heißt, es waren nur sehr wenige, aber sehr junge Frauen für den Geschlechtsverkehr in den Arbeiterlagern vorhanden. Sonntags war allgemein arbeitsfrei. Meistens gingen die Monteure in den nächstgelegenen Ort – Shlobin. Der Weg führte an kleinen Siedlungen vorbei. Die Monteure hielten sie für Zigeunersiedlungen. Diese Wohnhäuser standen mitten auf dem vom Fluss Dnjepr versumpften Gebiet. Es waren mehr vereinzelt nebeneinander stehende Holzhäuser. Davor standen immer ein bis zwei ältere Frauen. Wenn Angehörige von der Voest-Baustelle vorbeikamen, hielten sie ihre Röcke hoch und zeigten ihre Geschlechtsteile. Dafür verlangten sie fünfzig Kopeken. Meistens bekamen sie das Geld von den Monteuren nicht, obwohl oder weil ihr Aussehen erbärmlich war.

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Wie verkaufe ich meine Zeit

Brief: An den Stadtrat zur Verzögerung der Zeit (Augartenstadt)

Motto: Nicht „ist meine Zeit noch halb voll oder halb leer“, ist hier die Frage, sondern „Wem verkaufe ich meine Zeit?“

Im Arbeitsrecht steht ganz klar: Arbeitnehmer stellen ihre Arbeitskraft dem Arbeitgeber zu Verfügung. Ergo (würde der Lateiner sagen) – da ich Arbeitnehmer bin und die Arbeitskraft an mir hängt wohin ich auch gehe (z.B. in die Augarten Stadt – bestimmt der Arbeitgeber (wer das auch ist?), da ich nichts anderes bin außer Arbeitskraft, mein Leben.

Nach Hegel heißt das (und Hegel hat ja darüber sehr viel nachgedacht): was der Knecht macht, macht eigentlich der Herr.

Ich war ja auch ein Bohrwerker. (Das ist ein Arbeiter, der eine Bohrmaschine bedient.) Hätte ich so einfach meine mir entfremdete Bohrmaschine ausgeschaltet (mit der Erkenntnis die Bohrmaschine hat sich eine Ruhepause verdient), so hätte das die Kündigung bedeutet. Nicht für die Bohrmaschine natürlich. Ergo: Pausen werden einem so wie mir oder Maschinen vorgeschrieben. Arbeit und Ruhe sind für einen so wie mich oder Maschinen lebensnotwendig. Leben wird für einen so wie mich verordnet. Wenn Sie, Herr Stadtrat, zur Verzögerung der Zeit, noch an die Gewerkschaft als Interessensvertretung für einen so wie mich glauben, dann glauben Sie das alleine. Es geht um den reibungslosen Ablauf einer Maschine, aus der mehr herauskommen soll als man in sie hineinsteckt.

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Opfer der Produktion

Sprechtext eines Arbeiterdichters

Die Sprache ist für mich, als Arbeiter, etwas Vorgegebenes, Fertiges, steht in Büchern, zum Lesen. Selber schreiben kommt mir, in der Rolle des Arbeiters, nicht in den Sinn. Bleibt mir nur das Sprechen. Auch gegen oder über das geschriebene Wort. Das gesprochene Wort, eines Arbeiters, ohne Verstärker über Rundfunk und Fernsehanstalten, geht verloren, wird sofort vergessen, nicht wichtig genommen. Darum der Sprechtext: Mit Hilfe des geschrieben Wortes gegen das herrschende Wort, als „gegensprech Anlage“. Das einmal schon Gesprochene (im Gasthaus, „am Stammtisch“, auf die Frage: Siehst du dich als Opfer?) zum Nachlesen, Festhalten, noch einmal Gebrauchen, davon verwenden, was jeder gerade braucht.

Ein Versuch / mich / als Opfer der Produktion / zu verallgemeinern.

Verwunderlich, seltsam und viel / sprechen jene /die vom Sprechen leben müssen / fremd / so wie von einem anderen Stern / hört sich das für die Opfer der Produktion an / man spricht von Gewinn und Verlust / als wären Gewinn und Verlust Lebewesen / die man füttert mit Zahlen und Daten / ihr einziges Bedürfnis heißt / Kostenreduzierung.

Ich habe auch einmal / in meiner Jugend / am Fließband / arbeiten müssen / schrecklich / aber jetzt wird alles automatisiert / sagen sie / die angelernten, hoch gebildeten, wohlerzogenen Sprachexperten und Ideologen / für die Wirtschaft.

Das heißt übersetzt / morgen bist du weg / Kollege.

Das Wir / ist schon längst verloren gegangen / hat sich monopolisiert / personalisiert / und installiert in Institutionen und Vereinen / nennt sich Interessenvertreter / ist Einsager der Opfer / und gab sich den Namen / Sozialpartner / schon vor einiger Zeit.

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Unbekannte ArbeiterInnenliteratur

Erich Zwirner, 22.09.1928 – 17.04.2003 Erich Zwirner wurde in Mürzzuschlag geboren. Lebte in der eigens für das Stahlwerk “Schoeller – Bleckmann“ angelegten Arbeitersiedlung Hönigsberg. Arbeitete in diesem Stahlwerk in verschiedensten Bereichen, als Walzer, Oberbau- und Platzarbeiter, Kesselwärter und zum Schluss, bis zu seiner Pensionierung, als Umspannwärter. Beschrieb diese Bereiche und seine Arbeit in zahlreichen Prosatexten … Weiterlesen