Fast wie Freunde

„Wenn einer keine Angst hat, hat er keine Phantasie.“

Erich Kästner

Angst haben – das ist uncool, feige, lächerlich. Genau hinschauen – das ist anstrengend, unnötig, aufwühlend. Trotzdem zahlt es sich aus. Speziell, wenn alles in Ordnung zu sein scheint. Die Menschen in der Stadt, in der die Handlung spielt, haben alles, was sie zum Leben brauchen, sie grüßen einander, führen ein sorgloses Leben. Bei genauerem Hinschauen sind sie erkennbar: die traurigen Augen, die gebückte Haltung der Mitmenschen. Schleppt nicht jede/r eine Art schwarzen Sack am Rücken mit sich? In so einer Stadt wohnt Sophie. Sie scheint wie jedes Kind. Oder trägt Sophie ebenfalls eine solche Last und ist deswegen alles so schwer für sie? Die Doktoren können ihr nicht helfen; auch sie wollen nicht genau hinschauen und tragen gleichzeitig ihr persönliches Angstpaket umher. Als Sophie schließlich doch einen Blick wagt, entpuppt sich das schwarze Ding auf ihrem Rücken als ihre Angst. Ihre Versuche, den ungeliebten Gast mit Gewalt loszuwerden, misslingen. Warum also nicht die Angst kennenlernen bei gemeinsamen Unternehmungen wie schwimmen oder auf Bäume klettern? Mal ist die Angst näher bei Sophie, mal ist sie weiter weg. Und eines Tages geht sie fort, um nur mehr hin und wieder bei Sophie vorbeizuschauen, wenn diese sie wirklich braucht.

Sich ein Bild von etwas Unbekanntem, Gefürchteten zu machen ermöglicht erst die Auseinandersetzung damit. Mirjam Zels zeichnet ein sehr charmantes Bild dieses Unbekannten. Nur auf dem ersten Blick wirkt die Angst unheimlich, wenn sie sich mit dünnen Armen an den Hals ihres Menschen klammert, als schwarzer Sack auf dem Rücken hängt. Sophies Gefühl, dass etwas nicht mir ihr stimmt, dass sie anders ist als andere Kinder, wird deutlich in ihrem niedergeschlagenen Blick, in der gebeugten Haltung. Sie kämpft mir ihrer Angst. Die körperliche Anstrengung zeigt sich eindringlich in jenen Momenten, als Sophie mit aller Kraft versucht, das schwarze Etwas von ihrem Rücken zu bekommen, das wie festgeklebt zu sein scheint. Als auch die anderen Menschen sich nach und nach trauen, ihre Angst genauer anzuschauen, entpuppt sich diese als humorvolles, hilfreiches Wesen. Es sitzt auf dem Sozius eines Motorrollers, nimmt Platz in einer Handtasche, schaut aus dem Fenster, spaziert an der Hand eines Kindes. Die Veränderung wird auch an den Häusern sichtbar. Sieht man zu Beginn der Geschichte nur kahle Mauern und geschlossene Fenster, so erwachen die Häuser danach zu Leben: Blumen blühen in Fensterkisten, eine Frau winkt und hängt Wäsche auf, Sessel und ein Tisch stehen auf einer Terrasse.

Ausgangspunkt des Bilderbuches war Mirjam Zels‘ Bachelorarbeit an der Technischen Schule Nürnberg/Fakultät Design, für den sie im Sommersemester 2015 den Fakultätspreis für die beste Bachelorarbeit erhielt. Ein Blick auf ihre Homepage zeigt die Illustrationen in der ursprünglichen Form: dicke Augenbrauen und Nasen verleihen den Gesichtern einen düsteren Ausdruck, die Figuren wirken beinahe unheimlich; die Überarbeitung lässt die Agierenden sympathischer wirken und tut der Aussage der Geschichte keinen Abbruch. Die Angst wird nicht besiegt und abgeschoben, sie wird als Teil des Lebens akzeptiert. Die Menschen und ihre Angst kommen miteinander aus – fast wie Freunde.

Petra Öllinger

Mirjam Zels (Text und Illustrationen): Fast wie Freunde
kunstanst!fter, Mannheim 2017
Gebunden, 44 Seiten, € 22,70 (Ö)
Ab 6 Jahren und für Erwachsene
Über Mirjam Zels

© Cover: kunstanst!fter / Illustratorin

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