Jene Dinge

TIROLER GEGENWARTSLITERATUR 1071

In guten Verwandtschaften gibt es zwischen den Mitgliedern meist eine Höflichkeitslücke, in welche jene Geschichten eingepflanzt sind, über die man nicht spricht. „“Jene Dinge“ ans Tageslicht zu karren, die über Jahrzehnte im Dunkeln gehalten worden sind, ist für einen Erzähler eine Eselsaufgabe.

In Bernd Schuchters Geschichte gräbt ein ziemlich verschreckter Erzähler mit ständigem Zögern, jene Dinge aus, die entweder so elbstverständlich sind, dass keiner darüber redet, oder so heiß sind, dass man sie ins Reich des Tabus verstoßen hat. „Meine Entscheidungen waren zeitlebens von einem Zögern begleitet gewesen, obwohl ich nie wusste, woher es kam.“(S.66)
Zwischen dem Berichterstatter, seinem Vater und Großvater liegen Welten, die Generationen sind nicht böse aufeinander, aber sie haben einen Filter eingebaut, der nur gewisse Dinge durchlässt. Vater und Erzähler sind letztlich zwischen Tirol und Vorarlberg hin und her gerissen, es ist immer Zufall, wo man zu liegen kommt.
Die einzelnen Sequenzen dieser Zeit- und Familiengeschichte werden meist nur angerissen und enden mit dem viel sagenden Satz: doch davon
später. Aber wir Leser wissen, dass da nichts mehr kommen wird, zumindest in dieser Welt nicht. Jene Dinge spielen sich nicht nur im Familienmilieu ab, wo etwa die Mutter der Gebirgskluft Osttirols entflieht und dann in einem Kellerloch in Innsbruck das Untergrund-Paradies einer Provinzstadt auszuhalten hat, die Kulisse für diese Familiensaga der kleinen Leute liefert Innsbruck in der jüngeren Zeitgeschichte.
Immer wieder tauchen im Inn Waffen auf, man taucht nach ihnen, beim Baden tritt man auf sie, bei Flachwasser sieht man sie mit freiem Auge. Über den reinen Fakt hinaus, dass zu Kriegsende alle Wehrmachtssoldaten ihre Waffen in den Inn geschmissen haben und um ihr Leben gerannt sind, erzählen diese Waffen von der Zeitlosigkeit des damaligen Regimes, immer noch ist es bewaffnet und mitten unter uns. Selbst die Architektur spricht Bände, in der Badgasse gehen die einen ins Bad, um sich zu reinigen, die anderen gehen ins Stadtarchiv, um ihren Kopf klar zu kriegen.
Und erst die Geographie! Innsbrucks strotzt vor Klassen-Gefälle, auf der einen Seite wohnen die Habenichtse, auf der anderen Seite die
Reichen, die im Bedarfsfalle Getreide in den Inn schütten, um den Preis zu halten.
Bernd Schuchter erzählt zurückgenommen, in kleinen Rucken, rücksichtsvoll und behutsam von einer Kindheit, die ohne großes Aufsehen erwachsen geworden ist. Vom Duktus her könnte man manche Passagen mit Thomas Bernhards Keller-Ursache-Biographie vergleichen, freilich ohne dessen Ausfälligkeiten und Redundanzen. Nichts ist festgenagelt und fixiert, stets bleibt noch immer eine Türe zur Erkenntnis offen. „Vermutlich aber ist meine Erinnerung gar nicht wahr, wie es mir oft vorkommt.“ (S. 50)

Helmuth Schönauer

BuchcoverJeneDinge

Im Doppelpunkt veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Helmuth Schönauer.

Bernd Schuchter – Jene Dinge. Erzählung. Limbus, Hohenems 2008. 93 Seiten, EUR 9,90.

Über Bernd Schuchter

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