Mit der Gelassenheit eines Astronauten
72 Jahre alt, sich auf die Pension freuend, bekommt der Arzt Dr. Siri Paiboun völlig unerwartet eine neue Aufgabe: In Vientiane, der Hauptstadt von Laos, ist 1976 die Stelle eines Pathologen zu besetzen. Dr. Siri ist der einzige Genosse, der aufgrund seines medizinischen Wissens für diese Tätigkeit in Frage kommt. Nur – Dr. Siri hat keine Fachausbildung und muß nun autodidaktisch, mit Hilfe von zwei französischen Lehrbüchern aus dem Jahr 1948!, an die Arbeit gehen.
Dies ist nicht die einzige Skurrilität in Colin Cotterills Krimi „Dr. Siri und seine Toten“. Der Arzt wird von Heimsuchungen geplagt: „Fremde suchen ihn in seinen Träumen heim. „Sie lungerten faul und untätig herum, als sei Siris Kopf ein Wartezimmer.“ Aber auch Tote nehmen mit ihm Kontakt auf und unterhalten sich mit ihm. Diese seltsame Fähigkeit Siris hilft ihm jedoch beim Lösen mehrerer Mordfälle. Den „Reigen“ eröffnet die Frau eines Parteibonzen: bei einem Essen der Frauenunion fällt sie tot um.
Siri ist ein kluger und äußerst sympathischer Held, mit der „Gelassenheit eines Astronauten“, der von zwei ebenso sympathischen, aber leider genauso wenig für die Pathologie qualifizierten AssistentInnen unterstützt wird. Ein Charakterzug Siris ist, sich sehr humorvoll und geistreich gegen aufgeblähte Parteiautoritäten zu wehren. Einer seiner Haupt“gegner“ ist der frischgebackene Richter Haeng, der ihn gleich zu Beginn des Romans zu einer Aussprache zitiert. „Die Marxisten-Leninisten nannten eine solche Aussprache ‚Entlastungsschulung‘.“ Während Haeng leere Phrasen drischt und „laienhafte Zweifel an Siris Obduktionberichten“ anmeldet, empfindet ebendieser einen Anflug von Mitleid für den Richter … „Siri war der Ansicht, dass ein Richter im Laufe eines langen Lebens Schritt für Schritt zur Weisheit finden, gleichsam Jahresringe des Wissens ansetzen musste, und es nicht damit getan war, bei einem russischen Multiple-Choice-Test zufällig die korrekten Antworten getippt zu haben.“
In der vorherrschenden Krimi-Strömung, in der viele langweilige und sich selbst überschätzende ProtagonistInnen mit pseudopsychologischen Erklärungen, aalglatten Untersuchungstechniken und/oder mit haarsträubend schlechter Sprache Richtung Buchmarkt schwimmen, ist Collin Cotterills Roman eine Rettungsboje. Das liegt auch an der geglückten deutschen Übersetzung von Thomas Mohr. Dem Autor gelingt es, die Lesenden in ein Laos der 1970-er Jahre zu führen. Man fühlt sich mit allen Sinnen mitten im Treiben des im Westen eher unbekannten Landes.
Übrigens, Witz und (Selbst-)Ironie finden sich auch auf der Homepage von Colin Cotterill.
So berichtet er von seinen Anfängen als Cartoonist – in einem Krankenhaus. Mit drei Jahren zeichnete er auf die Wand seines Krankenzimmers. In der Folge verlangten die Nonnen von Cotterills Mutter für das Neustreichen der Wand zu bezahlen … Der Autor und Cartoonist engagiert sich außerdem im Kampf gegen Kinderprostitution.
Dazwischen findet Colin Cotterill auch Zeit für Dr. Siri. Dieser wird seinen nächsten, ins Deutsche übersetzen Fall ab Mai 2009 lösen.
Petra Öllinger
Colin Cotterill – Dr. Siri und seine Toten.
Originaltitel: The Coroner’s Lunch.
Aus dem Englischen von Thomas Mohr.
Manhattan bei Goldmann, Randomhouse München, 2008. 318 Seiten, € 18,50 (A).
Bereich: Kriminalroman
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