Ein gewichtiges (Um-)Graben
Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose. So einfach und so schön im Sinne von Gertrude Steins berühmten lyrischen Zeilen. So kompliziert und so viele Fragen aufwerfend („Welche Rosensorte?“) im Sinne der Botanik. So spannend und so neugierig machend auf den kulturgeschichtlichen Kontext von Botanik im Sinne von Anna Pavords Buch „Wie die Pflanzen zu ihren Namen kamen“.
Fragen stellen, nach Antworten suchen, benennen, kategorisieren – nicht erst seit Carl von Linné (1707 – 1778), der die Grundlagen der modernen botanischen und zoologischen Ordnungssysteme schuf, forschen Menschen nach einer Systematik von Pflanzen. Sie bemühen sich um eine Struktur, „die ihrer Überzeugung nach in der verwirrenden Vielfalt der natürlichen Welt verborgen sein musste“, schreibt die britische Gartenexpertin und Autorin Anna Pavord im ersten Kapitel. Den Anfang dieser Suche macht hier der griechische Philosoph und Naturforscher Theophrast (371 bis 287 vor unserer Zeitrechnung). Anhand seiner Arbeiten wird deutlich, wie kompliziert seine Versuche waren, die Pflanzen in Gruppen einzuteilen. „Theophrast schrieb keine Pflanzenenzyklopädie … Er stellte Fragen über Pflanzen.“ Schon die Auswahl der Kategorisierungskriterien warf viele dieser Fragen auf zum Beispiel: Was ist der einer Pflanze eigentümliche Teil? Ist es die Wurzel, der Stamm, der Ast? Verwirrend kam hinzu, daß dieselben Pflanzen in unterschiedlichen Gegenden unterschiedliche Namen aufwiesen.
Auch nach Theophrast wurde die Klassifizierung nicht einfacher. Nicht selten führten Fehler beim Übersetzen seiner Schriften und jener anderer Forscher zu Falschinformationen, die zu Selbstläufern wurden.
Nicht nur Worte trieben das botanische Wissen voran, auch Bilder vermochten dieses Wissen zu beeinflussen. Durch eine spezielle Entwicklung um 100 nach unserer Zeitrechnung, war es möglich, Papyrus auch in Blättern und nicht nur in Rollen herzustellen. „Jetzt wurde es sehr viel leichter, einen Text zu illustrieren.“ Alle Teile einer Pflanze konnten im richtigen Größenverhältnis zu einander in einem einzigen Bild dargestellt werden, was beispielsweise die Bestimmung einer Pflanze erleichterte.
Noch viele weitere „Erleuchtungsmomente“ in diesem ausgezeichnet recherchierten Buch beweisen: Auch eine Wissenschaft, die sich mit der „natürlichen“ Welt befaßt, entwickelt sich nicht losgelöst von sozialen, politischen, kulturellen Umbrüchen, nicht abseits von menschlichem Ehrgeiz oder wissenschaftlichen Ränkespielen.
„Die Kulturgeschichte der Botanik“ ist kein leichtes Buch – im wahrsten Sinn des Wortes, wiegt es doch beinahe zweieinhalb Kilo und bei diesem physischen Gewicht ist etwa ein Gemütliches-im-Bett-lesen nicht möglich. Auch inhaltlich verlangt Anna Pavords 567-seitiges Werk vollste Aufmerksamkeit. Queerbeetlesen ist nicht möglich, die 26 Kapitel bauen großteils inhaltlich aufeinander auf und wollen eines nach dem anderen „umgegraben“ werden.
Hin und wieder bleibt die Autorin Erklärungen zum Beispiel von Pflanzennamen schuldig, was eigene Recherchen in (botanischen) Lexika erfordert. Trotzdem, die Gründlichkeit, mit der viele im Buch dargestellten Forscher bei ihrer Arbeit vorgegangen sind, weisen auch Anna Pavords „Grabungen“ auf. Im letzten Teil von „Wie die Pflanzen zu ihrem Namen kamen“ findet sich eine Chronologie dieser Namenssuche, eine Zusammenstellung aller Protagonisten, die an der Suche und an dem Finden beteiligt waren sowie ein ausführliches Literatur- und Abbildungsverzeichnis.
Das Buch ist ein „Hirn- und Augenschmaus, sowohl für Pflanzen- als auch für BuchliebhaberInnen. Zahlreiche Abbildungen in ausgezeichneter Druck- und Farbqualität von Pflanzen aus alten Kräuterbüchern, auf Fresken, in Handschriften und Skizzen lassen eine/n diese schönen Darstellungen einfach „nur“ betrachten und sich fühlen wie beim Besuch einer seheneswerten Ausstellung.
Petra Öllinger
Anna Pavord – Wie die Pflanzen zu ihren Namen kamen. Eine Kulturgeschichte der Botanik. Originaltitel: The Naming of Names. The Search for Order in the World of Plants. Übersetzt von Hainer Kober.
Berlin Verlag, Berlin, 2008. 567 Seiten, € 39,90 (D).
Bereich: Sachbuch – Botanik, Kulturgeschicht