Rezension: Manfred Rumpl – Ihr Mann und der Fremde
Ein um seine kürzlich verstorbene Ehefrau trauernder Protagonist namens Zett sitzt alleine in seinem großen Haus. Valery ist bei einem Sturz aus dem Fenster eines Stundenhotels ums Leben gekommen. Zett findet ein paar Wochen nach ihrem Tod zufällig ihr Tagebuch, und beginnt es zu lesen …
Das ist der Ausgangspunkt des neuen Romans „Ihr Mann und der Fremde“ von Manfred Rumpl. „Vielleicht wäre vieles anders gekommen, wenn er damals geahnt hätte, was er heute weiß“, mit diesem ersten Satz eröffnet der Autor die Geschichte, denn erst mit dem Lesen ihrer Tagebucheintragungen entdeckt Zett ihr Doppelleben: Am Tag war sie seine Ehefrau, in der Nacht arbeitete sie für eine Agentur und schlief mit fremden Männern. Was kann er nun anderes tun, als seine bis zu diesem Zeitpunkt gelebte Wirklichkeit, seine Vergangenheit in Frage zu stellen: „Dinge, die er für unverrückbar hielt, zeigen nun aus einer Perspektive, die er nicht anders als schief nennen kann. Etwas ist aus dem Lot. Die Achse seiner Weltanschauung ist gekippt …“
Zett versucht also in seinen Erinnerungen an Valery eine Neuordnung. Er stellt sich die Frage, warum er nichts gemerkt hat, die Anzeichen offenbar nicht richtig gedeutet hat und kommt zu dem Schluss: „Im toten Winkel seiner Existenz haben sich offenbar Dinge abgespielt, die er nicht sehen konnte: Dinge, die er nicht wahrhaben wollte vielleicht sogar.“
In den beiden ersten Teilen des Romans erzählt Manfred Rumpl Kapitelweise alternierend aus der Sicht des Protagonisten Zett und der seiner Ehefrau Valery. Das ist das Besondere an diesem Buch. Beiden Figuren wird Raum gelassen, der Autor folgt ihnen, ist ihnen nahe, erzählt beide Geschichten, ohne jedoch zu werten. Zusätzlich schwingt von Anfang an Spannung mit, weil nie aufgeklärt werden konnte, ob Valerys Sturz aus dem Fenster ein Unfall oder Selbstmord war.
Der Leser, die Leserin erlebt Zett in seiner Trauerarbeit, in der Aufgabe, seine Vergangenheit mit Valery neu zu bewerten, ihr einen neuen Platz zu geben – und er oder sie erlebt Valery in den letzten Monaten ihrer Ehe, in ihrem Doppelleben, das sie ungefähr zwei Jahre zuvor begonnen hat. Der Autor zeigt sie in ihrer Verliebtheit, in ihrer Zeit mit dem Fremden. Zett erinnert sich an das Kennen lernen, an das Glück, während Valery ihr Unglücklichsein schildert, ihre Einsamkeit („sie spürt die Runzeln ihrer grauen Seele …“), und ihre Erlebnisse mit anderen Männern, seit sie für die Agentur arbeitet. Zett, ein Mensch, der sich in der Welt der Zahlen wohl fühlt, der nüchtern, eher phantasielos und sehr verschlossen ist, hat von alldem nichts geahnt. „Es erstaunt sie, wie leicht es ist, einander etwas vorzumachen“, stellt Valery einmal fest. Von einem literarischen Porno, wie es im Klappentext heißt, kann hier jedoch keine Rede sein. Detaillierte Beschreibungen ihrer sexuellen Erlebnisse fügen sich mit der gleichen Selbstverständlichkeit in den Text wie etwa Streitigkeiten zwischen den Ehepartnern. Dazu passt auch die Strukturierung in die drei Teile Vorspiel – Spiel – Nachspiel.
Das Leben, die Gedanken und Wünsche von Valery eröffnen sich dem Leser, der Leserin auf nachvollziehbare Art und Weise. Valery hat das Gefühl, in einer für sie falschen Zeit zu leben. „Sie findet sich auf einmal dort, wo sie nicht hinwollte, unterwegs auf Spuren, die verschwiegen, wohin sie führen.“ Simple Fakten, die eingeflochten werden, sprechen dafür: Die erste ungewollte Schwangerschaft, dadurch die Heirat, der sie sonst nicht zugestimmt hätte, der Abbruch des Studiums, das zweite Kind. Zwei, die eigentlich nicht zueinander passen, verbringen so über 20 Jahre miteinander. Die ersten Jahre sind glücklich, doch dann stellen sich andere Bedürfnisse ein. Die Verschiedenartigkeit im Temperament, im Charakter, im Wesen kommt über die Jahre ganz stark heraus. Solange die Kinder im Haus sind, werden die Probleme beiseite geschoben, aber sobald sie erwachsen und ausgezogen sind, wird für Valery deutlich, dass sie kein ideales Paar waren und sind.
Die Kommunikation zwischen den Ehepartnern gleitet im Laufe des langen Zusammenlebens in Wortlosigkeit hinab. Nicht einmal mehr die Kinder liefern Gesprächsstoff, das große Haus ist leer, scheint noch größer und leerer für beide, „in diesem Haus kann man zu zweit noch viel einsamer sein als allein. Diese Lektion hat sie in den letzten Jahren gründlich gelernt.“
Nun sind sie auf sich selbst zurückgeworfen. Zett und Valery leiden an ihrer Sprachlosigkeit, „die alte Wortlosigkeit“, wie Zett es einmal nennt. Diese Sprachlosigkeit zwischen ihnen drückt sich auch im Nichtvorhandensein von Dialogen im Roman aus. Beinahe alle Gespräche werden in indirekter Rede wiedergegeben. Valerys Unglücklichsein endet, als sie sich auf das Spiel mit einem Fremden einlässt und Grenzen überschreitet. Relativ bald merkt sie, dass es für sie ernst ist, sie findet bei ihm sexuelle Erfüllung und bezeichnet sich sogar einmal als „wiedergeboren“. Sie verliebt sich in ihn. „Sie wusste, es gab noch eine Zeit, die mit allem übereinstimmte.“ Sie spricht von Scheidung, Zett stimmt zu. Eigentlich sind Zett und Valery an einem entscheidenden Punkt angelangt, an dem sich vieles hätte ändern können, zum Guten für beide. Er hatte eine Affäre, eine Frau mit der er reden konnte, denn „die Wortlosigkeit an der Seite seiner Frau konnte er nicht durchbrechen“, und Valery hatte den Fremden.
Der Autor lässt sich Zeit mit der Entwicklung der Geschichte, gibt dem Leser oder der Leserin so die Gelegenheit, langsam einzutauchen. Jede der Figuren ist feinfühlig ausgearbeitet und gezeichnet. Manfred Rumpl verwebt geschickt die Geschichte einer Ehe, das Doppelleben der Ehefrau sowie ihre neue Liebe zu dem Fremden miteinander. Schicht für Schicht wird abgetragen und eine nur vermeintlich heile Familienwelt freigelegt.
Ein weiterer Kunstgriff gelingt dem Autor, als zu Beginn des dritten Teils (Nachspiel) auch der Vater gestorben ist, und so der Weg für die Kinder frei gemacht wird. Die Tochter begibt sich nach der Lektüre des Tagebuchs im Gegensatz zu ihrem Bruder, der es einfach ignoriert, auf die Suche nach dem Fremden. Auf diese Weise gibt Manfred Rumpl auch dem Fremden, der in Valerys Leben so wichtig war, eine Stimme. Er wird es sein, der das letzte Puzzlestück liefert, um die Geschichte zu vervollständigen, wenn er zu erzählen beginnt, „… mit brüchiger Stimme plötzlich, die ihr Suggestives verloren hat. Er muss die Worte von weither holen, ausgraben und einsammeln wie Minen, die womöglich noch immer scharf sind.“ Von ihm als einzigen Zeugen erfährt die Tochter, und so auch der/die LeserIn, was an jenem verhängnisvollen Abend wirklich geschah und zum Tod der Mutter führte.
Dieses Buch ist vieles. Es ist Schilderung einer 20-jährigen Ehe. Es zeigt Sprachlosigkeit und das Scheitern von Lebensentwürfen. Es ist die Entdeckung eines anderen Ichs. Es ist die Neuordnung, die Neubewertung der Vergangenheit. Es ist Trauerarbeit. Es ist Aufklärung. Es ist die Suche nach der Wahrheit über die Mutter, die Ehefrau, die Geliebte. Es ist die Geschichte einer kurzen Liebe. Es ist ein melancholisches, berührendes Buch.
Margot Fink
Manfred Rumpl – Ihr Mann und der Fremde. Verlag Luftschacht Wien, 2008. Ca. 232 Seiten, € 19.90 (Ö).
Erschienen in Klein & Kunst Onlein, im Doppelpunkt veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Margot Fink.