Aus Reinhold Sturms Rede bei der Buchpräsentation: „Arbeitswelten in Bild und Wort“ von Werner Lang.
In seinem Buch „Arbeitswelten in Bild und Wort“, leiht, gibt, gestaltet Werner Lang einer sehr ungewöhnliche Dimension unseres Lebens sein Wort, dieser wollen wir mithilfe seines Buches auf der Spur bleiben.
Um es für diese verkürzte Fassung vorwegzunehmen: Er beschäftigt sich mit einem Thema, das im Kunstsystem nicht vorkommt: Das sind die Leiden der Arbeitswelt.
Werner Lang schreibt von den Leiden der Arbeitswelt.
Er ist jahrzehntelang Arbeiter gewesen. Er machte Schichtarbeit, bekam Schmutz-Erschwernis-Gefahrenzulage, bis er, nach seinem Arbeitsunfall, in die Frühpension gehen musste. Er hat immer schon diese Welt, in der er lebte und die er auch leidvoll erlebte, unterschiedlich beschrieben. Man kann sie als Artikel in Betriebszeitungen, und auch als Literatur, wie sie im engeren Sinne verstanden wird, in Zeitschriften und Büchern nachlesen. Die eine Dimension in seiner Literatur ist die schwere Arbeit.
Die Arbeit in den Betrieben, in denen auch Werner Lang gearbeitet hat, (Akkordsysteme usw.) hat ein Tempo, das körperlich erschöpft. (Erschwerniszulage). Ungeachtet von diesen körperlichen Anstrengungen gibt es Gefahren am Arbeitsplatz, die nicht im alltäglichen Leben vorkommen, aber jeder, der in diesem Gefahrenbereich in den Betrieben arbeitet, ist diesem auch gleichzeitig ausgesetzt. (Gefahrenzulage). Durch die Schichtarbeit lässt die Konzentration nach und man wird schlampert. Früher hat man auch noch, um sich die Arbeit scheinbar zu erleichtern, dabei gesoffen usw.
Das ist heute nicht mehr so. Die Arbeitswelt hat sich massiv verändert. Diese Veränderungen erlebte Werner Lang in seiner Zeit als Arbeiter hautnah.
Es gibt ja auch ein massives körperliches Leid, das nicht artikulationsfähig ist. Man liest es nicht in der Zeitung. Man sieht keinen Film darüber. Es kommt auch nicht in der Literatur vor. Auch in der heutigen, rar gewordenen, Arbeiterliteratur kommt in wesentlichen, wenn man z. B. die Zeitschrift „Literatur der Arbeitswelt“ durchliest, das Arbeitsleid als Leid nicht vor. Sie schreiben alle über die Arbeit, aber sie schreiben eigentlich nicht über das Leid, weil das so unangenehm ist.
Das Problem ist ja, dass das sehr unangenehm ist, was da der Werner Lang als zweite Leidensgeschichte der Arbeiter beschreibt. Es ist der Verrat der Arbeitervertreter. Hier geht es darum, dass bei allen Bemühungen und Kämpfen, die man als Arbeiter in der Fabrik halt hat, der Betriebsrat auch im Namen der Gewerkschaft zur Aufrechterhaltung des Produktionsprozesses eingesetzt wurde. (Arbeitsdisziplin) Laut Gewerkschaftsführung soll ja der Arbeiter durch die Sozialpartnerschaft erfolgreich in das Gesellschaftssystem integriert worden sein, was sich jetzt als Irrtum herausstellt.
Die Leute wehrten sich aber trotzdem. Nicht nur, weil in den verstaatlichten Betrieben – in einer davon hat Werner Lang elf Jahre gearbeitet – die Arbeiter unmenschlichen Arbeitsbedingungen ausgesetzt waren, (Schichtarbeit, Schwerarbeit, Akkordarbeit, usw.) und nach der Privatisierung die Verschlechterungen am Einkommen der Lohnarbeiter seit 1980 spürbar und auch sichtbar zunahmen, sondern auch darum, weil der Arbeiter in den Produktionsprozess einfach hineingestellt und diesem angepasst wird.
Neu ist z. B.: Durch die Einführung der Qualitätszentren wurde unter anderem das 0 Fehler Thema aufgebracht. Das erfordert eine ganz andere Herangehensweise und Disziplinierung des Arbeiters. Das heißt, was auch noch ein Leid ist, das ist dieser gigantische Zwang zur Selbstdisziplinierung.
Bei der digitalen Überwachung und Selbstorganisation geht es für den Arbeiter in erster Linie um das damit verbundene Einkommen. (Gruppenentlohnung, Prämiensysteme, usw.). Sodass sich die Leute untereinander regulieren. Das ist ja auch die Idee dahinter. Diese Idee kommt in den 80er Jahren auf, wird groß in den kontinuierlichen Verbesserungswesen in der Gruppe und wird in der neuen EDV beworben. Ergebnis ist, dass man in den oberen Etagen (Betriebsleitung, technisches Büro, usw.) nicht mehr die vielen Meister und die Dichte der vielen Angestellten haben muss.
Im Großen und Ganzen gibt es aber die Arbeiter, die auch heute noch so wie früher arbeiten. Nur die Sprache hat sich verändert. Sie hat sich versachlicht.
Das ist ja genau genommen das Neue in den letzten 20 Jahren, dass sich die Sprache in der Ökonomie derart versachlicht und entpersonalisiert hat, sodass sie auch nicht mehr politisch wirkt.
Bei einigen Erzählungen von Werner Lang kann man auch herauslesen, dass die Leute ihre eigenen Leiderfahrungen nicht artikulieren. Sie wollen nicht darüber reden, sondern sie brechen körperlich zusammen. Burn-out, Herzinfarkt oder was immer.
Er hat in seinem Buch, den Versuch unternommen diese Dimensionen, die in der Welt verborgen sind, literarisch und bildlich zu artikulieren. Man kann auch zwischen den Zeilen herauslesen, dass in unserer Gesellschaft der materielle Arbeiter abgewertet wird.
Nach den Veränderungen des Arbeitsprozesses zählten die Arbeiter, die dort noch beschäftigt waren immer weniger. Die zählen einfach nicht mehr. Wenn der Arbeiter noch so gut oder fleißig ist, gescheit ist, noch so viel leistet, dann zählt das bestenfalls in diesen kleinen betrieblichen Zusammenhalt. Was wirklich zählt, ist die Konsumfähigkeit. Wo immer er oder sie das Geld, große Autos, neue Kleider, große Wohnung herhat, die Konsumfähigkeit wird wahrgenommen und positiv bewertet und immer mehr positiv beurteilt, aber die Arbeitsfähigkeit wird eher versteckt und zurückgedrängt und insbesondere der negative Aspekt des Leides wird verdrängt.
Im Buch von Werner Lang wird auch der Faschismus als erlittenes Leid behandelt. Es ist historisch ein zusätzliches Leid der Arbeiterklasse. Die Arbeiterklasse war ja – da sie sich einerseits enttäuscht durch das wirtschafts- und sozialpolitische Versagen der Sozialdemokratie, von ihr abwendete, und auch andererseits dadurch, dass ihr immer unterstellt worden ist, dass sie Faschismen zuneigen würde – doppelt betroffen.
Das stimmt so nicht. Es gab einen ganz massiven Kampf der Arbeiter und Gewerkschaften gegen die Machtergreifung des Faschismus (Austro- und Hitlerfaschismus) in Österreich, der offensichtlich nicht bekannt ist. Er wird ja auch nicht unterrichtet. Es gibt die Geschichte der Arbeiterklasse und seinem antifaschistischen Kampf auch in Spanien nicht, nicht in Griechenland etc.. Die gesamte jetzige Krise ist unter anderen auch eine Krise der postfaschistischen Staaten, Griechenland, Portugal, Spanien.
Diese Arbeiterklasse, die dort überall existierte, hat ja dort im Kampf gegen den Faschismus massiv verloren.
Das sind die entscheidenden Faktoren, warum man in diesen Ländern zu keiner demokratischen Kultur und Arbeiterkultur findet, und darum in Zeiten einer Wirtschaftskrise alle Lasten auf die Arbeiterklasse übertragen kann.
Weil sie eine menschenverachtende Geschichte haben, ist es vollkommen klar, dass die herrschende Klasse das Volk aushungert.
Die Gefahr ist ja, dass in anderen europäischen Staaten, die noch ein bisschen ein sozialdemokratisches System (wenn man das so nennen darf?) haben, sich auch hier dieses System durchsetzt, wie z. B. in Italien.
Bei alldem ist es wichtig, dass einem das physische und psychische Arbeitsleid wieder gesellschaftlich bewusst wird, sonst folgt statt eines Widerstandes der Zusammenbruch. Zu diesem Bewusstsein kann das Buch „Arbeitswelten in Bild und Wort“ von Werner Lang beitragen.
Der gesamte Text von Reinhold Sturms Rede bei der Buchpräsentation: „Arbeitswelten in Bild und Wort“ von Werner Lang ist auf der Seite „Arbeitswelt“ zu finden.
„Arbeitswelten in Bild und Wort“ kann unter folgender E-Mailadresse bestellt werden.