Eine Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung der Schwedischen Akademie über den Literaturnobelpreis 2012 wies deren „Ständiger Sekretär“, Peter Englund, Vorwürfe gegen einen der Juroren, dem Sinologieprofessor Göran Malmqvist scharf zurück. In den schwedischen Medien wird ihm finanzielles Interesse an der Verleihung des Literaturnobelpreises an Mo Yan nachgesagt. Er soll sich für die Verleihung des Nobelpreises an Mo Yan eingesetzt haben und gleichzeitig mehrere Werke des Chinesen übersetzt haben, die in Bälde veröffentlicht würden.
Peter Englund schreibt in seinem Blog, es sei bisher keine Entscheidung gefallen, ob Malmqvists Übersetzungen überhaupt gedruckt würden. Er würde jedenfalls auf alle Übersetzerhonorare verzichten.
Mo Yan
Der diesjährige Literaturnobelpreis geht an den 1955 geborenen Mo Yan. Aus bäuerlichem Milieu stammend beschreibt er in seiner Literatur vor allem das Leben auf dem chinesischen Dorf.
1981 veröffentlicht Mo Yan seine erste Sammlung von Kurzgeschichten. Der literarische Durchbruch gelingt ihm 1987 mit der Veröffentlichung des Novellenzyklus „Das rote Kornfeld“. Durch die Verfilmung des Buches, sie wird mit dem „Goldenen Bären“ ausgezeichnet, erhält Mo Yan internationale Aufmerksamkeit. Mo Yan ist übrigens ein Pseudonym und heißt „der Sprachlose“. Sein „bürgerlicher“ Name ist Guan Móyè.
Foto von Johannes Kolfhaus, Gymn. Marienthal ([1]) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons
Der Sprecher der Nobelpreis-Jury, Peter Englund, begründet die Entscheidung damit, dass Mo Yan eine „Mischung aus Faulkner, Charles Dickens und Rabelais“ sei. Der 57-Jährige schildere eine dörfliche Welt in einem Teil Chinas, der den meisten anderen fremd sei. „Mo Yan ist nicht als Intellektueller dort hinabgestiegen, sondern er ist selbst ein Teil davon.“
Mo Yan wird im Westen teilweise als Konformist und Staatsschriftsteller gesehen. Er selbst äußerte sich gegenüber dem Magazin „Time“ folgendermaßen: „Es gibt in jedem Land gewisse Beschränkungen.“ Statt politische Literatur zu schaffen, sollte ein Schriftsteller „seine Gedanken tief vergraben und sie über die Charaktere vermitteln“.
Der japanischer Literaturnobelpreisträger Kenzaburô Ôe sprach sich vor der Bekanntgabe des Literaturnobelpreisträgers 2012 folgendermaßen für Mo Yan aus: „Wenn ich einen Nobelpreisträger küren dürfte, dann wäre es Mo Yan.“
Auf Deutsch sind derzeit sechs Bücher Mo Yans erhältlich: „Der Überdruss“, „Die Sandelholzstrafe“, „Das rote Kornfeld“, „Die Knoblauchrevolte“, „Die Schnapsstadt“ und „Der Überdruss“.
Wie jedes Jahr wird der Literaturnobelpreis auch heuer am Todestag Alfred Nobels, dem 10. Dezember, vom schwedischen König in Stockholm verliehen.
Der Nobelpreis
Alfred Nobel (1833 bis 1896) konzentrierte sich als Stifter und Namensgeber des Preises auf die Bereiche Medizin, Chemie, Physik, Literatur und Frieden. Den Wirtschaftswissenschaften gegenüber war er skeptisch eingestellt. In einem Brief schrieb er: „Ich habe keine Wirtschafts-Ausbildung und hasse sie von Herzen.“ In seinem Testament ist folgerichtig auch kein entsprechender Preis vorgesehen. Die Wirtschaftswissenschaften werden erst 1968 von der schwedischen Nationalbank mit dem „Preis für Wirtschaftswissenschaften der Schwedischen Reichsbank im Gedenken an Alfred Nobel“ bedacht.
Aus dem Testament Alfred Nobels
„… Das Kapital, von den Testamentvollstreckern in sicheren Wertpapieren realisiert, soll einen Fond bilden, dessen jährliche Zinsen als Preise denen zugeteilt werden, die im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen gebracht haben. Die Zinsen werden in fünf gleiche Teile geteilt, von denen zufällt: ein Teil dem, der auf dem Gebiete der Physik die wichtigste Entdeckung oder Erfindung gemacht hat; ein Teil dem, der die wichtigste chemische Entdeckung oder Verbesserung gemacht hat; ein Teil dem, der die wichtigste Entdeckung auf dem Gebiete der Physiologie oder der Medizin gemacht hat; ein Teil dem, der in der Literatur das beste in idealistischer Richtung geschaffen hat; ein Teil dem, der am meisten oder am besten für die Verbrüderung der Völker gewirkt hat, für die Abschaffung oder Verminderung der stehenden Heere sowie für die Bildung und Verbreitung von Friedenskongressen …“
Paris, 27 November 1895
Alfred Bernhard Nobel
Fotografie von Gösta Florman (1831–1900) / The Royal Library [Public domain], via Wikimedia Commons
In seinem Letzten Willen regelt er auch die Zuständigkeit für die Vergabe der Preise: Die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften – in der er selbst von 1884 bis zu seinem Tode 1896 Mitglied war – vergibt die Auszeichnungen für Physik und Chemie, das Karolinska-Institut den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin und die Schwedische Akademie den für Literatur. Für die Vergabe des Friedensnobelpreises ist eine vom norwegischen Parlament bestimmte Kommission, das norwegische Nobelpreiskomitee, zuständig.
Die Gründung der Nobel-Stiftung erfolgte 1900. Im Jahr darauf, an Nobels fünftem Todestag, wurden die Nobelpreise erstmals verliehen.
Alle PreisträgerInnen erhalten eine Urkunde, eine Goldmedaille und einen Geldbetrag. Da die Zinsen des Stiftungsvermögens jährlich unterschiedlich hoch ausfallen, hat der Nobelpreis keine fixe Höhe. Das Preisgeld beträgt meist rund eine Million Euro pro Fachrichtung. Um das Stiftungsvermögen zu konsolidieren, wurde das Preisgeld 2012 auf 8 Millionen Kronen (etwa 900.000 Euro) gesenkt. Der Preis für Wirtschaftswissenschaften ist genauso hoch dotiert.
Der Literaturnobelpreis
In seinem Letzten Willen legt Alfred Nobel in Zusammenhang mit dem Literaturpreis fest, dass dieser einem lebenden Schriftsteller zugutekommen soll, „der in der Literatur das Vorzüglichste in idealer Richtung geschaffen hat“. Weiters bestimmt er, dass bei der Preisvergabe keinerlei Rücksicht auf die Nationalität genommen werden darf und das Werk der Menschheit den „größten Nutzen“ erwiesen haben muss.
Nobel hat sein Verständnis von „idealer Richtung“ niemals genau definiert, sodass deren Interpretation durch das Preiskomitee im Laufe der Jahrzehnte so mancher Änderung unterworfen war.
Der Nobelpreis für Literatur wird seit 1901 von der Schwedischen Akademie in Stockholm vergeben. Den Ausgangspunkt bildete ein konservativer Idealismus mit einem klaren Bekenntnis zu Staat, Kirche und Familie – später wurde der Begriff des Idealistischen erweitert und auf Werke von „weitherziger Humanität“ angewendet. Auch der klassische Realismus war zeitweise gefragt. Nach dem 2. Weltkrieg macht sich die Akademie auf die Suche nach bahnbrechenden, neue Perspektiven eröffnende AutorInnen – ab den späten 1970er Jahren versucht die Akademie, weitgehend unbekannten AutorInnen en und vernachlässigten literarischen Gattungen zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen – in den 1980er Jahren verlor der Literaturnobelpreis einiges von seiner eurozentristischen Ausrichtung und außereuropäische Literatur erhielt mehr Aufmerksamkeit. Seit den 1990er Jahren wird das literarische Schaffen auch von Frauen vermehrt gewürdigt.
Bis zur finalen Abstimmung über den zukünftigen Träger des Nobelpreises liegt die Hauptarbeit beim Nobelkomitee mit fünf Mitgliedern. Dieses wird für drei Jahre aus dem Kreis der 18 Mitglieder der Schwedischen Akademie gewählt und setzt sich aus WissenschafterInnen und SchriftstellerInnen zusammen. Über die Beratungen muss fünfzig Jahre lang Stillschweigen bewahrt werden.
Zu Beginn der Auswahl werden sechs- bis siebenhundert Personen und Organisationen per Brief eingeladen, geeignete LiteratInnen für das kommende Jahr vorzuschlagen.
Das Nobelkomitee erstellt eine Namensliste, diese wird letztlich auf fünf KandidatInnen reduziert. Jedes Akademiemitglied setzt sich mit dem Werk der Nominierten auseinander und erstellt Berichte. Anfang Oktober wird der/die PreisträgerIn gewählt. Er/Sie muss mehr als die Hälfte der Stimmen aller 18 Akademiemitglieder bekommen.
Zwölfmal wurden bisher Frauen ausgezeichnet: Die Erste war 1909 Selma Lagerlöf, die bisher letzte Herta Müller. Dazwischen finden sich so illustre Namen wie Nelly Sachs, Nadine Gordimer, Doris Lessing und Elfriede Jelinek.
An deutschsprachige Autorinnen und Autoren wurde der Preis bisher 13-mal vergeben: Heinrich Böll, Elias Canetti, Günter Grass, Gerhart Hauptmann, Hermann Hesse, Thomas Mann, Herta Müller …
Zweimal wurde der Literaturnobelpreis vom Ausgezeichneten nicht angenommen: 1958 lehnte ihn Boris Pasternak ab; der Preis wurde posthum 1989 an Pasternaks Sohn überreicht. 1964 nahm Jean-Paul Sartre die Ehrung nicht an.
Die Auszeichnung der Nordamerikanerin Pearl S. Buck 1938, ihren Romanen wurde von vielen die literarische Qualität abgesprochen, führte zur sogenannten „Lex Buck“. Eine ungeschriebene Regel, nur AutorInnen auszuzeichnen, die mindestens einmal zuvor nominiert waren.
1953 verursachte die Verleihung des Literaturnobelpreises an Winston Churchill einen Skandal. Die Akademie zog die Konsequenz und ehrte seither keine/n AutorIn mehr, der/die ein politisches Amt bekleidet.
Während des „Kalten Krieges“, aber auch darüber hinaus, wurden die Entscheidungen der Akademie von Kritikern immer wieder auch als politische Erklärungen interpretiert. Die Akademiemitglieder betonen ihrerseits das Gebot der politischen Integrität in ihrer Arbeit: Die Entscheidungen können politische Auswirkungen haben, doch es liegen ihnen niemals politische Absichten zugrunde.
Wegen des Schweigens der Akademie zur Verfolgung des Schriftstellers Salman Rushdie, boykottieren zwei Mitglieder derselben seit 1989 die Akademiesitzungen. Ein Rücktritt ist nicht möglich, die Mitglieder sind auf Lebenszeit gewählt und können ihr Amt auch nicht selbst zurücklegen.
Bei allem Streben nach Unvoreingenommenheit, die Beurteilung von Literatur kann niemals vollkommen objektiv sein. Solange die Entscheidungen der Akademie die Menschen bewegt – die einen begeistert und die anderen entrüstet – haben der Literaturnobelpreis und die Literatur eine lebendige Zukunft!
Liste der Nobelpreisträger für Literatur