Warum kommt mir nach dem Konsum des Videos „Lasst Kinder arbeiten!“ von Michael Hart, einem Absolventen der London School of Economics und der Columbia-Universität, der Begriff „intellektuelle Verkommenheit“ in den Sinn?
Ob dies etwas damit zu tun hat, dass der Autor unverblümt die „Erwerbstätigkeit von Minderjährigen“ fordert und uns so die Fratze des Neoliberalismus auf Standard.at so klar und unverhüllt präsentiert?
Unter „Erwerbstätigkeit von Minderjährigen“ versteht Herr Hart offensichtlich vor allem Kinderarbeit in den Ländern des Südens. „Sie kann einen wichtigen Beitrag zum Selbst- oder Familienerhalt darstellen und auch der Selbstfindung und Sinnstiftung dienen.“
Er fordert, die Bedürfnisse der betroffenen Kinder und deren Familien und nicht die moralischen Prioritäten (Ablehnung der Kinderarbeit) gesättigter Konsumenten in den Industrienationen in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen. Daher ist Kinderarbeit aus seiner Sicht keinesfalls abzuschaffen. Er gesteht den Kindern allerdings Bedingungen zu, die ihnen ein „menschenwürdiges und sinnvolles Arbeiten“ ermöglichen. Er will sie ja nicht dem „Abgleiten in die Kriminalität und Schutzlosigkeit“ aussetzen.
Nach Schätzungen der IAO (Internationale Arbeitsorganisation) arbeiten in der Altersgruppe fünf bis 17 Jahre weltweit 215 Millionen Kinder. 176 Millionen von ihnen befinden sich in der Altersgruppe zwischen fünf und vierzehn Jahren.
Hungerlöhne, ungerechte Landverteilung, Arbeitslosigkeit und Verschuldung der Familien bilden die Ursachen für Kinderarbeit.
Die Idee, dass Kinder im 21. Jh. auf der ganzen Welt ein Recht auf Bildung und die Eltern ein Recht auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen und ausreichende Entlohnung haben, kommt Herrn Rat scheinbar nicht. Er verschließt die Augen vor dem Offensichtlichen: Kinderarbeit verhindert den (erfolgreichen) Schulbesuch und „schafft“ eine Lebensperspektive als Tagelöhner. Kinderarbeit ist auch 2012 für das Überleben vieler Familien erforderlich, gleichzeitig wird durch sie die Armut über die Generationen perpetuiert.
Für uns WählerInnen und KonsumentInnen gilt es, diesen Kreislauf zu durchbrechen, im Rahmen unserer Möglichkeiten einen Beitrag für eine solidarische Welt zu leisten und Politik bzw. Ökonomie zu verantwortungsvollem Handeln zu bewegen.
Nach einer kurzen Phase der Sprachlosigkeit bin ich dem Autor des Videos „Lasst Kinder arbeiten!“ richtiggehend dankbar. Er leistet mit seiner „ökonomischen Theorie“ über die Kinderarbeit letztlich einen Beitrag, dass dieses Thema von mehr Menschen kritisch wahrgenommen wird.
Georg Schober
Weiterführende Links
KINDERRECHTE: eine informative Seite des Bundesministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend
FAIRTRADE und Kinderarbeit