Der Schweizer Schriftsteller E. F. Meyer hat 1971 mit seinem Roman „In Trubschachen“ ein kleines Sprachkunstwerk geschaffen. Seit Februar 2009 ist das Buch im Basler Lenos–Verlag wieder erhältlich.
Zwischen Weihnachten und Neujahr begibt sich die Hauptfigur – und hier stockt man schon, will man vom Inhalt des „Romans aus dem Emmental“ berichten. Meyer ist nämlich ein eigensinniger Stilist: Meyer liebt den Konjunktiv und Meyer bezeichnet seine Hauptfigur durchgängig mit dem unpersönlichen Pronomen „man“. Ganz sicher sind wir uns also nie, ob das Geschilderte nur passieren könnte oder ob es tatsächlich passiert und wenn ja – wem.
Zwischen Weihnachten und Neujahr also reist die Hauptfigur – wir wagen zu sagen, es sei ein Mann – ins Emmental, nach Trubschachen, wo er sich im „Hirschen“ einquartiert. Dort hofft der Protagonist die Zeit zu finden, um mit einer Arbeit über Kant voranzukommen. Der Ort bietet kaum Ablenkung, doch zur Arbeit kommt „man“ nicht. „Man“ isst, man isst die deftige Emmentaler Kost im „Hirschen“, und wohl seit Gotthelf ist das Essen im Emmental nicht mehr so akribisch und ausführlich und liebevoll beschrieben worden. „Man“ geht spazieren, lange, beobachtungsreiche Spaziergänge in die Umgebung von Trubschachen, bei denen Meyer eine weitere Seite seiner Sprachmeisterschaft zeigt: er ist nämlich ein großer Benenner von Dingen (eine Freundin sagte mir einmal, sie möge es, wenn jemand die Dinge der Welt zu benennen wisse – ein Wort wie „Porzellanisolatorenglocken“ würde ihr gefallen). Man geht also spazieren – doch wo immer man sich auch hinwenden mag, am Ende begegnet man immer in irgendeiner Form dem Tod. Sei es der Wanderweg, der am Friedhof des Ortes endet, sei es der leerstehende Gasthof oder der ekelerregende Gestank einer Knochenfabrik. Einen vorläufigen Höhepunkt erreicht das Thema von Gewalt und Tod in der Silvesternacht, ehe, nach einem klassischen Ritardando, dem Gespräch mit dem Lehrer, dem Pfarrer und dem Sektionschef der Gemeinde, der Protagonist selbst in Lebensgefahr gerät.
Am Ende reist „man“ vermutlich wieder ab; die Wende, die man sich von dem Aufenthalt im abgelegenen Trubschachen erhofft haben mag, die man in der Zeit der Jahreswende wohl auch für das eigene Leben gesucht hat, die Wende, die um ein Haar die endgültige, die einzige, die wirkliche, geworden wäre, ist nicht eingetreten. Für die Lesenden aber ist „In Trubschachen“ Wendepunkt, Meilenstein und außergewöhnliches Leseerlebnis.
Peter Metz
E. Y. Meyer – In Trubschachen. Roman aus dem Emmental
Lenos Pocket 121, Basel, 2009. 218 Seiten, Euro 12,- (D).
Bereich: Belletristik, Roman