Pfui! Krimis eines hochgelobten Autors lesen und darüber meckern? Zugegeben: kolportierte Millionenauflagen sowie Pressemeldungen und Ansichten schreibender KollegInnen, die sich vor Superlativen kaum bremsen können, machen es nicht einfach, genau diese Superlativen beim Lesen und Denken etwas schaumzubremsen. Wie aber dann bei der Rezension zu Werke gehen? Vielleicht mit dem Inhalt von Boris Akunins Kriminalroman „Der Favorit der Zarin“ beginnen – objektiv, ohne Meckerei; vorerst.
Also, hier der Inhalt in Kürze: Zwei Parallelhandlungen, die von zwei Fandorins bestritten werden. Auf der einen Seite: Nicholas Fandorin, Historiker und Enkel von Erast Petrowitsch Fandorin*, lebt nach seiner Rückkehr aus England im Moskau der Gegenwart, wo er das Büro „Land der Räte“ betreibt, eine „Ausweg-für-alles-Agentur“ . Eines Tages taucht ein Mann auf, der sich als Korrespondent der „Prawda“ ausgibt und Nicholas Fandorin Fragen über das Leben und den Tod stellt. Kurze Zeit später hält Fandorin einen Zettel in Händen, auf dem ihm mitgeteilt wird, dass er zur Höchststrafe verurteilt wurde: der Vernichtung. Im Zuge seiner Ermittlungen findet Fandorin eine seltsame Liste mit Namen und Infos. Die Genannten haben Menschen betrogen. So „hypnotisierten“ die Betreiber der Firma „Wer mitspielt, gewinnt“ mit ihrer Werbung die Zuschauer und versprachen enorme Gewinne, die nie ausgezahlt wurden. Auch Fandorin steht aus nicht nachvollziehbaren Gründen auf der Liste. Ein Name – Kuzenko, Direktor der Aktiengesellschaft „Meeresfee Melusine, eine Art Schönheitsklinik“ – wird im weiteren Verlauf eine wichtige Rolle in Nicholas Fandorins Recherchen spielen. Dieser gerät unter anderem in eine Racheaktionen zwischen alten „Freunden“, muss die wiedergefundene Tochter von Kuzenko retten und seinen eigenen Kopf ebenfalls.
Auf der anderen Seite agiert Mithridates Fandorin, der mit sechs Jahren nach Petersburg an den Hof Katharina der Großen geschickt wird. Durch seine Klugheit, es gelingt ihm unter anderem einen Giftanschlag auf die Kaiserin zu vereiteln, gerät er zwischen die Fronten der beiden „Hofparteien“ . Die eine Gruppe favorisiert den Enkel der Kaiserin als Thronfolger, die andere favorisiert deren Sohn. Beide Seiten sehen ihre Pläne durch Mithridates gefährdet und trachten nach seinem Leben.
Diese zeitlich versetzten Handlungsstränge schlagen immer wieder ungeahnte Haken und gewinnen mit der Anzahl der Seiten an Tempo; der Ablauf bleibt trotzdem übersichtlich.
Die Verbindungen zwischen den beiden Strängen besteht in einem von Nicholas Fandorin entwickelten Computerspiel, in dem unter anderem einer seiner Vorfahren, Daniel Vondorin und Katharina die Große eine Rolle spielen und eine Einsiedlerklause, an der die Geschichte sowohl von Mithridates als auch von Nicholas kurz Halt macht.
Gut, dass es bei Akunins Fandorin Romanen nicht sooo sehr auf sprachliche Qualität ankommt. Manche aus dem Russischen ins Deutsche übersetzte Passagen sind einfach misslungen. Davon abgesehen, dass eine Zarin kaum einen Satz wie “ Nur hier kannst du mal nach Herzenslust ausspannen“ von sich gegeben hätte, ist so manche Formulierung schnoddriges deutsches Deutsch. „Pustekuchen! Da es kein Gedöns in der Presse gibt, erfahren wir …“. Und die Mehrzahl von Schluck ist nun einmal Schlucke und nicht Schlücke …
Boris Akunin betitelt jedes Kapitel mit einem Zitat aus der Weltliteratur. Was hin und wieder irritiert, weil die Bezüge dazu bei den einzelnen Abschnitten nicht immer ersichtlich (ist ) sind.
Auch wenn ein Teil des Krimis in der Gegenwart spielt, „Der Favorit der Zarin“ kommt ohne kriminaltechnische Untersuchungen, Latexhandschuhen, Mikroskop und DNA-Analyse aus. Gelöst werden die Morde alleine mit Hilfe der Gehirnzellen. (Pseudo)psychologische Erklärungsversuche bleiben den Lesenden erspart. Wenn eine/r Böses tut, dann tut sie/er es aus Machtgier – basta. Keine Fragen nach dem Warum. Weil dieses Schema die fast 600 Seiten durchgehalten wird, funktioniert die Geschichte. „Der Favorit der Zarin“ ist kein literarischer Höhepunkt, aber spannend ist er allemal, wenn die LeserInnen durch das Russland des 19. Jahrhunderts und der Gegenwart gefegt werden. Da gibt’s dann auch nicht allzu viel zu meckern …
Boris Akunin – Der Favorit der Zarin. Ein Nicholas-Fandorin Roman. Aus dem Russischen von Birgit Veit. Goldmann Verlag München, Deutsche Erstausgabe 2006. 572 Seiten, € 9,95 (D).
Petra Öllinger
* Dieser seines Zeichens Held, der in einer Reihe von Romanen seine kriminalistischen Abenteuer im Russland gegen Ende des 19. Jahrhunderts bestreitet und oft als Mischung aus James Bond und Sherlock Holmes bezeichnet wird, taucht in diesem Roman allerdings nicht auf.