Liebe Besucherinnen!
Liebe Besucher!
Ein großes Plus unserer Coach Petra: Wir kommen viel herum – im Wald und auf der Heide. Für viele Stadthündinnen und -hunde leider keine Selbstverständlichkeit. Manchmal dürfen wir mit Petra auch durch die Stadt stromern und erschnuppern dabei sehr interessante Düfte und Gerüche, während unsere zweibeinige Begleiterin ein paar Zentimeter weiter oben spannende Stellen ortet. So zum Beispiel letzten Samstag, den 7. Oktober. Da fand im Rahmen von „Neue Blicke auf den dritten Bezirk“ der Stadtspaziergang statt. Eine Gruppe von Frauen (darunter auch die Teilnehmerinnen des gleichnamigen Schreibworkshops) machte sich unter der fachkundigen Kulturvermittlerin und akademischen Referentin für feministische Bildung und Politik, Petra Unger, auf den Weg, unsichtbare Frauenorte und Frauengeschichte zu entdecken.
Und ich lerne im Nachhinein, was es heißt in die Tastatur zu hauen, daß die Pfoten qualmen, denn mein heutiger Beitrag ist etwas länger als meine sonstigen Worte zum Montag. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen.
Tatsache ist: Oft kräht sprichwörtlich kein Hahn nach den Frauen respektive deren Leistungen und Errungenschaften. Zwar finden sich haufenweise Gedenktafeln und Denkmäler von Männern, Frauen bleiben zumeist unsichtbar. Gleich zu Beginn unserer Wanderung, Ungargasse – Ecke Beatrixgasse, wird eine Frau sichtbar, die selbst viele Orte entdeckte: Ida Pfeiffer, eine Weltreisende der Biedermeierzeit. Ein paar Meter weiter die Beatrixgasse entlang, auf Nummer 3, begegnen wir einer Vertreterin der österreichischen Literatur, deren Person und Werke sehr kontrovers diskutiert werden: Ingeborg Bachmann.
Überhaupt die Beatrixgasse. Benannt nach der Erzherzogin Maria Beatrix von Este, die in Italien, genaugenommen in ihren Herzogtümern Massa und Carrara im 19. Jahrhundert das politische Geschehen mitbestimmte.
Apropos politisches Geschehen: Nach Petras und meiner Rückkehr hätten wir beinahe aufs Gassigehen vergessen. Wir waren so vertieft in Geschichtsbücher, speziell ins Kapitel über die Napoleonischen Kriege, denn die waren ausschlaggebend dafür, daß sich Maria Beatrix von Este in Wiener Neustadt niedergelassen hatte.
Schon bald stellen wir fest: das Gebiet (fast möchte Hund von Grätzel sprechen), das wir durchstreifen werden, ist nur ein kleiner Ausschnitt des dritten Wiener Gemeindebezirks; aber voll von versteckten Frauenplätzen! Ich bin ob der interessanten Hintergrundinfos ganz platt und vergesse sogar, meine Nase am Boden zu lassen. Dafür merke ich mir alle Adressen, und werde Petra demnächst bitten, daß wir wieder vorbeigehen bzw. das Geschichte-Schnüffel-Quadrat erweitern. Hier die Liste:
Ungargasse 49: Nanette Streicher, Klavierbauerin. Welche/r geistig hinter die Fassaden des im ästhetischen Sinn Würgreiz hervorrufenden Gebäudes blickt, kann eintauchen in die Welt einer begabten Frau, die unter anderem gemeinsam mit ihrem Mann die Wiener Mechanik entwickelte.
Ungargasse 29:Paula von Preradovic, die Schöpferin des Textes der österreichischen Bundeshymne. Gedacht wird an dieser Adresse allerdings ihrem Großvater, dem kroatischen Nationaldichter Petar Prerardovic. Interessant ist in der Lebensgeschichte von Paula von Preradovic, daß sie sich gemeinsam mit ihrem Mann Ernst Molden während des Zweiten Weltkrieges der Widerstandsbewegung anschloss. Ihr literarisches Werk, das unter anderem Prosa und Gedichte umfasst, ist kaum bekannt. Die Wiederentdeckung wäre eine lohnende Aufgabe. Ich werde mal unsere Coach fragen …
Rochusgasse 7: Hier stoßen wir auf Maria Hainisch, der Pionierin der österreichischen Frauenbewegung und treibende Kraft vor allem was die Bildung von Mädchen und Frauen angeht.
Landstraße 74: Marie von Ebner Eschenbach. Da habe ich doch letztens an dieser Stelle eines ihrer Werke erwähnt, „Krambambuli“. Daneben schrieb zum Beispiel die „Lotti, die Uhrmacherin“. Marie von Ebner-Eschenbach war auch mit Helene von Druskowitz befreundet, bekannt für ihre radikal-feministischen Ansichten.
Kundmanngasse: Welche/r die Augen aufmerksam die teilweise stadtplanerischen Wahnwitzigkeiten in der Kundmanngasse entlangwandern lässt, findet das Ludwig Wittgensteinhaus; eingebettet zwischen Plakatwänden (Palmers-Modelle strecken uns ihren Hintern entgegen, ob uns das was sagen soll?) und einem monströsen Neubau. Während Ludwig Wittgensteins philosophische Ansichten in vielen Mündern und Köpfen sind (von wie vielen sie tatsächlich verstanden werden, ist eine andere Frage), ist seine Schwester Margarete Stonborough-Wittgenstein kaum bekannt.
Grete Jost-Park: Vorbei an der Bücherei in der Kundmanngasse und eingebogen in die Erdbergstraße, finden wir den ziemlich gut versteckten Grete Jost-Park. (Warum waren wir da noch nie? Herrscht da etwa auch Hundeverbot?). Benannt wurde der Park nach der Widerstandskämpferin im Deutschen Reich, die 1943 im Wiener Landesgericht geköpft wurde. Auf einem Tisch haben sich ein paar Jugendliche niedergelassen. Ich schnüffle sie auf etwa 15 Jahre und mich interessiert brennend, was sie über Grete Jost wissen.
Rasumovskygasse 29: Maria Theresia Paradis. Die blinde Musikerin war ein „Star“ in der „Szene“ des 18. Jahrhunderts.
Siegelgasse 2-4: Und endlich, endlich bekommt Petra auch über eine ihrer Lieblingsmalerinnen etwas präsentiert – Tina Blau. Wie oft hat Petra mich durch den Prater gezerrt mit den Worten „Siehst du, hier hat sie gemalt!“. An dieser Adresse befand sich eines der Vereinsateliers (quasi eine „Zweigstelle“) der von Tina Blau, Olga Prager, Rosa Mayreder und Kurt Federn gegründeten Kunstschule.
Demnächst gibt es eine Ausstellung über Tina Blau im Bezirksmuseum, darüber mehr in einer meiner nächsten Worte zum Montag.
Löwengasse 47: Während Menschentrauben förmlich ihren Blick auf das Hundertwasser-Haus kleben, werfen wir den unsrigen auf das Palais des Beaux Arts – einer Arbeitsstätte von Herta Firnbergs, SPÖ-Politikerin und ehemalige Unterrichtsministerin.
Wir schlängeln uns an den TouristInnengruppen vorbei zur Kegelgasse: Dieses Gebiet hier und auf der nahe gelegenen Weißgerberlände, früher Gänseweide genannt, war unter anderem eine der Hinrichtungsstätten Wiens. So wurde hier die „Hexe“ Elisabeth Plainacher 1583 verbrannt. Ist das Thema Hexenverfolgung an sich schon erschütternd genug, berührt mich das Schicksal dieser Frau ganz besonders. Auf der Gedenktafel selbst wird einer weiteren Grausamkeit gedacht: der Judenverbrennung 1421, ausgelöst durch den österreichischen Herzog Albrecht V.
Ein Stücke weiter, Kegelgasse 44 findet sich auf dem Gemeindebau ein Relief mit Gänsemotiven, gestaltet von Margarete Hanusch („Kunst am Bau“).
Schließlich steuern wir dem Ende des Rundgangs zu: der Weißgerberstraße 41, wo anschläge, efeu, ninlil und die frauenhetz ihre Heimat haben.
Nach drei Stunden sind wir alle, ja sogar ich auf meinen vier Pfoten, ein bisschen müde, aber trotzdem voller neuer Ideen, Gedanken, Einsichten und Motivation, uns trotz oft frustrierender Momente („Emanzipation, wozu brauch ma des?“) nicht den Mut für ein „Sehr wohl brauch ma des“ rauben zu lassen.
Wer Lust hat, neue (Frauen-) Blicke auf die Stadt zu werfen, kann diese Sichtweisen bei Stadtführungen mit Petra Unger schärfen und/oder in ihrem Buch schmökern (Wiener Frauenspaziergänge. Wo sich Frauen in Wien am besten finden, 2006, metro-Verlag, Berlin).
Petra Unger , Tel. 01/ 595 29 62 oder 0664/ 421 64 44,
Unbekanntes Wien .
Ein weiterer Buchtipp zum Thema Frauen in Wien: Marlen Schachinger. Wien. Stadt der Frauen. 2006, Promedia Verlag, Wien
Ein Buch, das uns von Petra Unger besonders ans Herz gelegt wurde, weil es auch für Nicht-MusikerInnen von größtem Interesse ist:
Eva Marx, Gerlinde Haas: 210 Österreichische Komponistinnen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Biographie, Werk und Bibliographie. Ein Lexikon. 2001, Salzburg; Wien; Frankfurt, Residenz Verlag.
Übrigens: Die Texte, die beim Schreibworkshop entstanden sind und die Reflexionen zum Stadtspaziergang sind in der bald erscheinenden November-Ausgabe der anschläge nachzulesen.
In diesem Sinn eine wuffige Woche,
Ihre Brilli