Und es gibt sie doch, zumindest einige wenige: Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die am laufenden Band schreiben und veröffentlichen und schreiben und veröffentlichen, ohne dass die von ihnen entwickelten Charaktere und Plots an Überraschung und Frische verlieren.
Einer von ihnen ist der Brite Terry Pratchett. Er scheint eine nie versiegende Quelle absurder, wahnwitziger, schräger Ideen zu sein – und das ist als Warnung zu verstehen: einmal einen Pratchett Scheibenwelt-Roman gelesen, immer einen Pratchett-Scheibenwelt-Roman lesen.
Darin lässt sich gar Seltsames über die Welt erfahren: dieselbe ist eine Scheibe und ruht auf dem Rücken von Elefanten, die wiederum von einer Schildkröte getragen werden. Und Ankh-Morpok ist die wichtigste Stadt der Scheibenwelt, welche wiederum von Zwergen, Elfen, Narren, Orang-Utans, TOD, Nanny Ogg, Oma Wetterwachs und dergleichen Wesen mehr bevölkert wird. 1 2
Und hier gleich die nächste Warnung: Für Scheibenwelt-NeueinsteigerInnen birgt „Lords und Ladies“ die Gefahr, sich im Namenswirrwarr zu verheddern, mit den Gepflogenheiten der Scheibenwelt-BewohnerInnen nicht zurande zu kommen und/oder bald entnervt das fast 400-Seiten Werk zu verwünschen. Es lohnt sich also in diesem Fall, die Vorbemerkung des Autors doch zu lesen, um alsdann einen kleinen Überblick zu erhalten wer wie was wann und warum.
Kurzum: die junge Hexe Magrat Knobloch soll den ehemaligen Narren Verence heiraten. Derselbige ist in der Zwischenzeit zum König von Lancre aufgestiegen und entpuppt sich im Grunde als gar nicht sooo närrisch, wenn es um die Entwicklung und Umsetzung neuer Ideen, (zum Beispiel einem Getreidedreher) geht.
So weit, so gut, so kurz – sollte man annehmen. Wer Terry Pratchetts Fabulierkunst kennt, weiß jedoch: gewöhnliche Ereignisse, wie in diesem Fall die geplante Hochzeit, laufen keinesfalls kurz und gut ab. Deshalb hier eine kleine Auflistung der „Zwischen“fälle als Navigationshilfe:
a) Eine namenlose Königin will die Macht über Lancre an sich reißen. Ob es ihr gelingt, sei hier nicht verraten.
b) Jason Ogg, der Sohn von Nanny Ogg, bekommt Besuch von TOD, der für sein Pferd neue Hufeisen braucht. Eine ganz besondere Aufgabe für Jason. Die er auch bravourös erledigt, soviel sei hier verraten.
c) In der Mittsommernacht findet ein Wettkampf zwischen Nanny Ogg und der Nachwuchshexe Diamanda statt. Wer gewinnt, sei hier nicht verraten.
d) Magrat ficht ebenfalls einen Kampf aus – gegen Elfen, die hier mit der namenlosen Königin kooperieren. Überhaupt Elfen. Die verhalten sich bei Terry Pratchett ziemlich übel, so finden sie beispielsweise Vergnügen daran, andere Lebewesen zu Tode zu quälen. Aber eine spezielle Rüstung löst das Elfen-Kampf-Tohuwabohu auf– das sei zumindest hier verraten.
e) Der Imker, Herr Brooks, spielt im obigen Tohuwabohu ebenfalls eine heldenhafte Rolle. Und es sind keine Bienen, die ihn unterstützen …
f) Einige Handwerker tanzen den „Stock-und-Eimer-Tanz“ und finden ebenfalls eine Lösung für das Elfen-Kampf-Tohuwabohu. 3
g) Nanny Ogg hat ein Rendezvous mit einem alten Bekannten. Und irgendwie hängt dieses Treffen auch mit dem Elfen-Durcheinander zusammen.
Wie bereits in einer Fußnote2, liebt es der Autor, sich aus den reichen gefüllten Töpfen von Naturwissenschaft, Literatur, Parapsychologie, Ufo-Forschung und noch vielen anderen Sparten zu bedienen. In „Lords und Ladies“ findet die LeserInnenschaft ein Potpourri unter anderem aus:
a) Moderner Physik (Stichwort: Paralelluniversen und Schrödingers Katze);
b) Englischer Literatur (dieses Mal hat es Shakespears „Sommernachtstraum“ erwischt).
Kurzum: Ein Scheibenweltspaß in einer relativ gut gelungenen Übersetzung.
Petra Öllinger
1 Für Fans der Scheibenwelt nichts Neues, aber die Rezensentin ist bemüht, NichtkennerInnen die Pratchett’schen Werke schmackhaft zu machen.
2 An das Lesen von Fußnoten mögen sich die Neuankömmlinge im Terry Pratchett- Scheibenreich schon einmal hier gewöhnen. Die Scheibenwelt-Romane sind voll damit, ob sie auch immer sinnvoll sind, sei dahingestellt, aber diese Unsicherheit haben wohl alle Fußnoten.
3 Diese Szene lässt die LeserInnen lachtränenüberströmt zurück – soviel dazu an dieser Stelle.
Terry Pratchett – Lords und Ladies. Ein Scheibenwelt-Roman. (Originaltitel: Lords and Ladies.) Aus dem Englischen übersetzt von Andreas Brandhorst. Goldmann, München. Deutsche Erstveröffentlichung 1995. 384 Seiten, € 9,00 (D). (Eine Neuausgabe zusammen mit dem Scheibenwelt-Roman „Helle Barden“ ist für Frühjahr 2007 ebenfalls im Goldmann Verlag geplant.)