Diese Frage stellt sich Franz Krämer in seinem neuesten Beitrag, stellt interessante Bezüge zu LiedermacherInnen, Cafes und Kaufhäusern her – und macht so neugierig auf das angeblich verstaubte Thema Lyrik.
Es wird oft bedauert, daß es kaum mehr Lyriker von Rang gibt, daß die Lyrik keinen Markt mehr besitzt, daß es beinahe unmöglich ist für einen Autor, mit Lyrik zu überleben. Ist die Lyrik, das Gedicht wirklich auf einem Rückzugsgefecht? Haben sich nicht in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts neue Formen der Lyrik etabliert, die wir nur nicht als solche wahrnehmen. Abgesehen von Poetry Slams glaube ich, daß Autoren und Autorinnen seit dem Aufstieg der Popkultur neue, großartige Poesie hervorgebracht haben. Denken wir nur daran, daß Bob Dylan zum bedeutendsten Lyriker des 20. Jahrhunderts gewählt wurde.
Wir sind gewohnt Gedichte in Buchform zu konsumieren, zumindest ich, einer der an der Wende zu den letzten dreißig Jahren seines Lebens steht. Doch die bookletts der früheren Schallplatten, heute sind es Beilagen zu Compact Discs, sind nichts anderes als kleine Lyrikbände. Denken wir uns die Musik weg und wir werden erkennen, daß wir alle von Gedichten in unserem Verhalten, unserer Weltsicht, unserer Welterkenntnis geprägt wurden. Jeder von uns hört heute täglich Lyrik in tausendfacher Form. Wer den Radio aufdreht, wer MTV oder VIVA konsumiert, wird von Lyrik überschwemmt. Das reicht von Erleuchtungslyrik eines Xavier Naidoo bis hin zu kraftvollen Texten einer Tori Amos oder des neu auferstandenen Cat Stevens alias Yusuf Islam.
Im Gegensatz zu früher ist es gar nicht mehr möglich, sich dem Gedicht, der Lyrik zu entziehen. Allüberall quellen die lyrischen Ergüsse der Popstrategen aus den Lautsprechen, ob in Kaufhäusern oder Cafehäusern, aus Werbesendungen oder als Filmbeigaben. Das Gedicht, die Lyrik hat sich über die englische Sprache noch dazu globalisiert, hat sich seinen eigenen, eigenständigen Massenmarkt erobert. Früher gab es den elenden deutschen Schlager, von dem wir uns angeekelt abwendeten, wenn er uns begegnete, zumindest die, die sich für progressiv hielten. Heute ist es der Pop Mainstream, dem wir den Rücken kehren. Aber jeder hat so seine Popidole, wissentlich oder unwissentlich. Meine Helden sind altersbedingt: Dylan, Beatles, Queen, Pink Floyd, Randy Newman, Neil Young. Alles große Poeten im Zeichen der evolutionären Entwicklung des Menschen (um den höchsten Schöpfer nicht bemühen zu müssen). Jede/r hat schon mal ein Lied mitgesungen, wie selbstverständlich. Heute nennen wir sie Klassiker, zum Beispiel „California Dreaming“ – als Lied unerreicht, aber auch als Text kann es mit den großen Dichtern der bürgerlichen Hochkultur mithalten. Lyrik wird nicht dadurch elend, daß sie aus der Popkultur kommt, sondern dadurch, daß sie miserabel gedichtet ist.
Nur weil sich Lyrikbände nicht mehr verkaufen, nur weil die Popkultur verflacht ist, heißt das nicht, daß großartige Lyrik keinen Ort mehr hätte. Natürlich kann nicht jeder Autor Sänger werden, aber nur weil die Schriftsteller im falschen Berufsfeld sind, heißt das noch nicht, daß eines ihrer wichtigsten Genres verschwunden ist. Denken wir nur an die Hochblüte der österreichischen Liedkunst: Arik Brauer, Wolfgang Ambros, Andre Heller, Hansi Lang, Stefan Weber, Georg Danzer und wie sie alle heißen oder hießen. Das waren keine Geisteszwerge. Da sind einige großartige Gedichte entstanden, denken wir nur an die Textzeile aus dem Lied „Elfi“ von Georg Danzer: „Aun an haßen Tog im August aun da Wien, waun da Summa riacht noch Kinderfreibod, Tear und Benzin.“ Würden wir die Texte von damals in ein paar Lyrikbände pressen, keiner würde sie kaufen, sie wären trotz unglaublicher Bekanntheit kein Massenprodukt.
Trotzdem ist vieles von damals heute noch unerreicht und liest sich auch als Text hervorragend. Lyrik ist Teil unserer Kulturerfahrung wenn auch in anderer Form. Ich hoffe, daß bald wieder einmal von einem oder einer zu hören ist, der/die es versteht, wie Falco, Sigi Maron – oder, um einen abwegigen zu nennen: Heinz R. Unger, der Dichter hinter den Schmetterlingen, mich zu berühren, zu erreichen und zu prägen.
Franz Krämer Kontakt
deutsprachig? Also Lyrik in Gebärdensprache? Sowas gibts? Und sogar gebärdensprachige Liedermacher, und das auch noch auf Schallplatte? Erstaunlich!