Die Menschenfreunde in zerlumpten Hosen
Von Werner Lang
„Die Menschenfreunde in zerlumpten Hosen“ ist ArbeiterInnenliteratur par excellence: Also Literatur von ArbeiterInnen, in der sie sich mit ihren eigenen Lebensbedingungen auseinandersetzen.
Als uneheliches Kind 1870 in Dublin geboren, verläßt „Robert Tressell“ schon mit 16 Jahren seine Familie und damit die bürgerliche Welt, in die er hineingeboren wurde. Er nennte sich von nun an nach dem Mädchennamen seiner Mutter „Robert Noonan“.
1888 emigriert er nach Südafrika, läßt sich in Kapstadt nieder und arbeitet als Dekorateur. 1897 zieht er mit seiner Tochter nach Johannesburg und schließt sich der ArbeiterInnenbewegung an. Er wird Gewerkschaftsmitglied und später Sekretär der Transvaal Federated Building Trades Council.
1901 kehrt er mit seiner Tochter nach England zurück. 1906, beeinflusst durch die Schriften von William Morris, tritt er der Social Democratic Federation bei. Ein Jahr später wird er arbeitslos.
Er beginnt an dem Roman „The Ragged Trousered Philanthrop“, („Menschenfreunde in zerlumpten Hosen“) zu schreiben und vollendet ihn 1910. Aus Angst, das Manuskript würde auf Grund seiner Autorenschaft abgelehnt werden, unterschreibt er mit „Robert Tressell“. Schon schwer lungenkrank erhält er eine Arbeitszusage in Kanada. Bevor er sich im August 1910 auf die Reise macht, übergibt er seiner Tochter noch ein Kästchen, in dem er das Manuskript aufbewahrt und läßt sie bei Verwandten zurück. Sein Weg sollte bereits in Liverpool enden.
Ein kurzer Auszug aus dem Buch:
… Eines Sonntagmorgens gegen Ende Juli fiel eine Gruppe von ungefähr fünfundzwanzig Männer und Frauen auf Fahrräder in die Stadt ein. Zwei von ihnen – die ein paar Meter vor den anderen fuhren, hatten an der Lenkstange ihrer Räder eine dünne, aufrechte Stange, an deren Spitze wehte eine kleine, rot-silberne Flagge mit ‚Internationale Brüderlichkeit und Frieden‘ in Goldbuchstaben. Die andere war in Größe und Farbe gleich, trug jedoch eine andere Aufschrift: ‚Einer für alle, alle für einen‘.
Im Vorbeifahren verteilten sie Flugblätter an die Straßenpassanten. Wann immer sie eine Stelle mit vielen Leuten erreichten, stiegen sie ab, gingen umher und gaben ihre Flugblätter jedem, der eines haben wollte. Mehrmals machten sie während ihrer Durchfahrt entlang der Großen Parade dort länger Halt, wo sich eine größere Menschenmenge aufhielt, und dann fuhren sie über den Hügel nach Windley und kamen kurz vor Öffnungszeit der Wirtshäuser an. Vor einigen warteten kleine Gruppen, und mehrere Kirchgänger gingen ihren Weg durch die Straßen nach Hause. Die Fremden verteilten Flugblätter an alle, die sie nehmen wollten. Außerdem streiften sie durch eine Menge Gassen, schoben Flugblätter unter den Türen durch und steckten sie in die Briefkästen. Als sie ihren Vorrat verbraucht hatten, stiegen sie auf und fuhren wieder dorthin zurück, woher sie gekommen waren.
Inzwischen hatte sich die Neuigkeit ihrer Ankunft verbreitet, und als sie durch die Stadt zurückkamen, wurden sie mit höhnischem Gelächter und Buh-Rufen begrüßt. Plötzlich warf jemand einen Stein, und da es dort zufällig jede Menge gab, zogen mehrere andere nach und begannen, den zurückweichenden Radfahrern nachzulaufen, warfen Steine, johlten und fluchten.
Das Flugblatt, das diesen Zorn auslöste, lautete:
WAS IST SOZIALISMUS?
Gegenwärtig produzieren die Arbeiter mit Hand und Verstand ununterbrochen Nahrung, Kleidung und alle nützlichen und schönen Dinge in großem Überfluß. ABER SIE ARBEITEN VERGEBLICH – denn sie sind meist arm und leiden oft Not. Sie befinden sich in einem harten Kampf ums Dasein. Ihre Frauen und Kinder leiden, und auf ihren alten Tagen tragen sie das Schandmaul des Almosenempfängers.
Der Sozialismus ist ein großes Vorhaben, vermittels dessen die Armut abgeschafft sein wird und das jeden in die Lage versetzt, in Wohlstand und Komfort zu leben, mit Freizeit und der Möglichkeit für ein erfülltes Leben.
Wenn ihr mehr darüber erfahren wollt, kommt zu den Feldern an der Straßenkreuzung auf dem Hügel bei Windley, nächsten Dienstag Abend um 8 Uhr undHALTET NACH DEM LASTWAGEN DER SOZIALISTEN AUSSCHAU.
Die Radfahrer fuhren in einem Steinhagel weg, ohne viel Schaden zu nehmen. Einer hatte eine aufgeschlagene Hand, und ein anderer, der sich umdrehte, wurde an der Stirn verletzt. Aber das waren die einzigen Verluste. …“ (S. 460- 461).
Am 26. November 1910 starb Robert Noonan (Tressell) an Herzversagen. Er wurde in einen Armengrab in Walton Park Cemetery in Liverpool, beerdigt.
1914 kaufte ein Verlag die Rechte an dem Buch für 25 Pfund Sterling. Noch im selben Jahr erschien es in Großbritannien, Kanada und den Vereinigten Staaten.
Der Text ist nicht nur aktuell weil er akribisch die zwischenmenschlichen Beziehungen von Arbeitern beschreibt, sondern auch den grundlegenden Widerspruch im Kapitalismus aufzeigt. Dem Leser, der Leserin wird vor Augen geführt, wie die Früchte der gesellschaftlichen Produktion, vor allem einer kleinen Minderheit zu Gute kommen und das kapitalistische Gesellschaftssystem den Menschen zu einem unsozialen Verhalten treibt.
Jack Mitchell schreibt: „Der Roman ist wie ein Wagenrad konstruiert. An der Radnabe werden die Männer bei der Arbeit geschildert. Dorthin kehrt die Handlung stets wieder zurück, nachdem der Autor, den einzelnen Speichen entlang Einsicht in das Privat- oder Familienleben der Arbeiter, ihre Freizeitgestaltung und Vergnügen, ihre politischen Aktivitäten usw. gegeben hat. So erkennen wir, dass die Art und Weise, in der die Männer arbeiten, ihre ganze Lebensweise bestimmt, dass die unfreie Arbeit der Ausgangspunkt ihrer ganzen Unfreiheit ist.“ (S. 15)
Der Satz von Robert Tressell „Nur was die Arbeiter sich nehmen, hilft ihnen weiter, was ihnen geschenkt wird, ist nutzlos“ ist heute aktueller denn je.
Weiterführende Hinweise und Literatur für alle, die sich in das Leben und Werk von Robert Tressell vertiefen möchten:
Auf der Site „Nemesis – Sozialistisches Archiv für Belletristik“ kann der Roman von Robert Tressell „ Die Menschenfreunde in zerlumpten Hosen“ im Netz nachgelesen werden.
Hanna Behrend: Der schriftstellernde Schildermaler, der sich Robert Tressell nannte, und sein bemerkenswertes Buch „Die Menschenfreunde in zerlumpten Hosen“
Literatur:
Alfred, David (ed., 1988): Robert Tressell Lectures, Rochester, Kent
Ashraf, Mary (1980): Englische Arbeiterliteratur vom 18. Jahrhundert bis zum ersten Weltkrieg, Berlin-Weimar
Ball, Frederick C. (1973): One of the Damned. The Life and Times of Robert Tressell, London
Mitchell, Jack (ed. 1969): Robert Tressell and The Ragged-Trousered Philanthropists
Tressell, Robert (1914): The Ragged-Trousered Philanthropists, London
Tressell, Robert (1955): The Ragged-Trousered Philanthropists, London
Tressal, Robert (1927): Die Menschenfreunde in zerlumpten Hosen. Ein englischer Arbeiterroman, Berlin
Tressell, Robert (1958): Die Menschenfreunde in zerlumpten Hosen, Berlin
Tressell, Robert (2002): Die Menschenfreunde in zerlumpten Hosen, Kückenshagen
@taklara ich kannte den roman bisher ebenfalls nicht. das buch ist eine richtig dicke schwarte. man kann es allerdings sehr gut in einzelnen kleinen portionen lesen. einwirklich beeindruckender text!
Ich muss zugeben, von dem Roman hatte ich noch nie was gehört. Aber klingt spannend – danke für den Tipp!