Über die Notwendigkeit von geschlechtergerechten Ausschreibungen
„Publizistenpreis“. Gibt es in Deutschland keine Journalistinnen? Ach ja, sie sind, so sie nicht bereits ihrer natürlichen Bestimmung nachkommen und sich zu Hause unter anderem um den Nachwuchs kümmern, sicher mitgemeint …
In der Ausschreibung des Publizistenpreises ist der weibliche Teil der schreibenden Zunft dann immerhin unter „Journalisten/innen“ zu finden. – Das Wort „Journalisten/innen“ erinnert allerdings ein wenig an einen Appendix: die schreibende Frau als intellektueller Wurmfortsatz des männlich determinierten deutschsprachigen Journalismus.
Ein Preis wider dem Klischee von Dutt und Ärmelschoner, der ein zeitgemäßes Bild von Bibliotheken und den Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, fördern möchte. Zeigten die InitiatorInnen des Preises ein wenig mehr Sensibilität bei der Namensgebung und der geschlechtergerechten Formulierung der Ausschreibung, wäre es eine rundum begrüßenswerte Initiative.
Die Ausschreibung:
„Der Deutsche Bibliotheksverband schreibt gemeinsam mit der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft (WBG) den Publizistenpreis der Deutschen Bibliotheken („Helmut-Sontag-Preis“) aus. Preisgeld:5.000 Euro.
Dieser Publizistenpreis zeichnet Journalisten/innen oder Redaktionsteams aller Medien aus, die ein zeitgemäßes Bild von Bibliotheken, ihrem Umfeld und den sie beeinflussenden Entwicklungen vermitteln.“
Um begründete Vorschläge wird gemeinsam mit einer aussagekräftigen Dokumentation der seit 2009 veröffentlichten, einschlägigen Publikationen ersucht. Auch Eigenbewerbungen sind möglich. Der Preis wird am 7. Juni 2011 im Rahmen der Eröffnung des 100. Bibliothekstages in Berlin verliehen.
Vorschläge können bis zum 31.01.2011 eingesendet werden. Nähere Infos auf der Seite des „Deutschen Bibliotheksverbandes“.
„Männer werden immer richtig eingeordnet, Frauen fast nie, denn in unserer Sprache gilt die Regel:
99 Sängerinnen und 1 Sänger sind zusammen 100 Sänger.
Futsch sind die 99 Frauen, nicht mehr auffindbar, verschwunden in der Männerschublade. Die Metapher bewirkt, daß in unseren Köpfen nur Manns-Bilder auftauchen,
wenn von ‚Arbeitern‘, ‚Dichtern‘, ‚Studenten‘, ‚Rentnern‘ oder ‚Ärzten‘ die Rede ist, auch wenn jene ‚Rentner‘ oder ‚Ärzte‘ in Wirklichkeit überwiegend Ärztinnen oder Rentnerinnen waren.“*
Zitat: Luise Pusch. Alle Menschen werden Schwestern. Frankfurt, M.: Suhrkamp. 1990. S. 85f.
Argumente und Diskussionen zum Thema geschlechtergerechte Sprache auf dieStandard.at in einem eigenen Schwerpunkt: Gender/Sprache.
Siehe auch den Beitrag „Geschlechtergerechte Sprache“ und „Geschlechtergerecht formulieren“ im „Duftenden Doppelpunkt“.
Geschlechtergerechte Sprache ist wohl doch eine Glaubensfrage, jedenfalls wird sie mit Argumenten des Glaubens und nicht des Wissens verteidigt und bergründet.
@ Karin Aleksander:
Ihre Analogie zwischen der Richtigkeit „geschlechtergerechten Formulierens“ und dem Kopernikanischen Weltbild ist für Ihre Argumentation mehr als gefährlich – ja sogar tödlich. Denn was Ihnen offenbar unbekannt ist: Das heliozentrische bzw. „Kopernikanische Weltbild“ gilt in der Physik spätestens seit der Relativitätstheorie für veraltet und überholt und wurde durch das sog. „Relativitätsprinzip“ abgelöst (vgl. sub verba auch in Wikipedia).
Daß die Sonne Mittelpunkt des Universums ist (die Kernthese des hekliozentrischen Weltbilds), ist auch und vor allem wegen des wahren Augenscheins möglicher kosmologischer Beobachtungen von anderen Sonnensystemen, Galaxien usw. schlichtweg falsch.
Was dieser Umstand und Ihre Analogie für die Richtigkeit und die Zukunft feministischer Linguistik und der aus ihr heraus entwickelten Geschlechtergerechten Sprache bedeutet, muß ich wohl nicht ausführen. Geschenkt.
Apropos „bewußter Umgang mit der Sprache“: ein „Bibliothekstag“ und ein „Bibliothekarstag“ sind nicht das gleiche, geschweige denn dasselbe – der eine Titel stellt die Institution (oder das beherbergende Gebäude), der andere die Menschen, die in diesen Institutionen arbeiten, ins Zentrum.
Und Pierre Bourdieu ist übrigens meiner Beobachtung nach für eine weitere Anregung gut: Seine Arbeiten zur selektierenden Kraft von Hochsprache und Alltagssprachen (Dialekte, „Patois“) lassen sich auch auf die Geschlechtergerechte Sprache und ihre Präsenz übertragen. Verwendung oder Nichtverwendung sind Kennzeichen für bestimmte gesellschaftliche oder professionelle Gruppierungen, die sich faktisch damit voneinander abgrenzen. Geschlechtergerechte Sprache herrscht zudem überall dort vor, wo staatlich-instutionelle oder politisch-öffentliche Belange „zur Sprache kommen“, also in den Universitäten und Hochschulen, pädagogischen Einrichtungen und Schulen, aber auch im offiziellen Schriftverkehr der Ämter und Behörden – und so ist Geschlechtergerechte Sprache auch sukzessive zum Merkmal der offiziellen Amtssprache geworden.
Parallel dazu existiert in der privaten Presse und unpolitischen Diskursen eine Sprachwelt, in der „Politiker“, „Künstler“, „Nutzer“ usw. im Genus längst nicht mehr den Sexus abbilden, Frau nicht „mitgemeint“ werden, wie von der feministischen Linguistik vermutet, sondern Männer und Frauen gleichermaßen im Begriff verschmelzen, weil Gender oder Sexus trotz aller gegenteiliger Beteuerungen nicht immer und überall die entscheidende Kategorie darstellen.
@Karin Aleksander danke für diese klare und fundierte zusammenfassung zum thema geschlechtersensible sprache!
geschlechtersensible sprache ist keine glaubensfrage. der obige blogbeitrag und der kommentar von frau aleksander machen dies beispielhaft recht gut klar.
Amen.
Ich finde es wichtig, jede Stelle aufzuzeigen, wo nicht geschlechtergerecht gesprochen wird, damit alle lernen, dass es gefordert wird, dass es notwendig ist und dass es richtig ist. Das Beispiel „Publizistenpreis“ ist ebenso typisch wie „Bibliothekartag“, (der uns in Österreich und auch in Deutschland 2011 wieder bevorsteht).
Warum wird geschlechtergerechtes Formulieren gefordert?
Weil inzwischen zahlreiche Studien belegen, dass beim Abfragen von Künstlern, Sportlern oder Politikern eben doch mehrheitlich bis fast nur männliche Wesen genannt werden!
Warum ist es notwendig? Weil sich die Realität geändert hat, die wir mit der Sprache abbilden wollen! Diesen Zweck von Sprache, genau das zu bezeichnen, was auch gemeint ist, können wir erfüllen, wenn wir auch das Geschlecht der Personen in unseren Beschreibungen bezeichnen, was zudem auch die Ethik und das Anerkennen von Leistungen gebietet. Ich sehe da wenige Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache. In diesem konkreten Fall z.B. sollten wir besser vom „Pressepreis“ oder „Medienpreis“ sprechen. Beim zweiten Beispiel ganz richtig vom „Bibliothekstag“. Dazu sind keine Unter- oder Trennstriche nötig. Mit der entsprechenden Phantasie ist das leicht zu schaffen.
Allerdings und das ist die dritte Frage: Warum ist geschlechtergerechtes Formulieren richtig? Weil das generische Maskulinum in vielen Fällen falsch ist! Um das zu verstehen, müssen wir alle neu lernen und nicht etwas als angeblich richtig Erlerntes für immer anwenden, weil es „immer so war“! So wie das Kopernikanische Weltbild gegen den wahren Augenschein und trotzdem richtig ist, so ist auch eine geschlechtergerechte Sprache das Ergebnis bewussten Lernens und beweist, wie sehr Sprache und gesellschaftliche Entwicklung gekoppelt sind. Auch die angeblichen „Traditionen“ im Entgeltsystem u.a. gehören verändert! Sehr gut beschreibt das Pierre Bourdieu, wenn er sagt: „Die Macht des Präkonstruierten liegt darin, dass es zugleich in die Dinge und in die Köpfe eingegangen ist und sich deshalb mit einer Scheinevidenz präsentiert, die unbemerkt durchgeht, weil sie selbstverständlich ist.“ (In: Reflexive Anthropologie. Frankfurt/M 1996, S. 248ff.) Gegen das Selbstverständliche und für das Konkrete in der Sprache eintreten, sollte deshalb gerade im Bibliotheksbereich verpflichtend sein. Wer das Wort empfiehlt, sollte auch bewusster als andere damit umgehen!
ich halte die nennung der männlichen gemeinsam mit der weiblichen form bzw. dort, wo möglich, eine geschlechtsneutrale umschreibung für anstrebenswert. um ein zeichen zu setzen, zum nachdenken und kommunizieren über das thema geschlechtergerechte sprache anzuregen, werde ich das sogenannte binnen-I allerdings weiter verwenden. eventuell das eine oder andere mal durch ein unterstrich (Bibliothekar_innen) aufgelockert. ;-)
@tobias! was hänschen nicht lernt, lernt hans nimmermehr? schade, wo doch schon seit jahren versucht, wird uns das lebenslange lernen schmackhaft zu machen. ;-)
@tobias @bernd martin rohde ich stimme ihnen zu, daß es (im bereich der bibliotheken) größere probleme als die durchsetzung der geschlechtergerechten sprache in wort und schrift gibt. ist es nicht denkbar, daß das sprachliche nichtwahrnehmen von frauen und ihre schlechtere bezahlung in einem ursächlichen zusammenhang steht?
@bernd thaler sehe ich auch so. es ist ein alte und erprobte vorgehensweise: teile und herrsche bzw. spiele die interessen der unterschiedlichen gruppen gegeneinander aus und trage, wo immer nur möglich, den spaltpilz in die einzelnen gruppen.
zweifelsohne gibt es frauen, die das thema sprachliche gleichberechtigung „für die fisch“ halten. mit manchen von ihnen kann „man“ sich als mann auch noch so wunderbar gemeinsam über den feminismus alterieren bzw. lustigmachen.
die gründe sind sicher vielschichtig. elternhaus und schule haben bei vielen frauen und männern einiges dazu beigetragen, die „guten alten werte“ unreflektiert zu konservieren und vor allem nicht zu hinterfragen. viele frauen haben immer noch verinnerlicht, ihre interesssen hintanzustellen. und einige wollen in einem immer noch meist männlich dominierten umfeld einfach „nur“ karriere machen. all zu laut geäußerte (feministische) (sprach-)kritik steht da nicht selten im weg.
Zum Kommentar von Tobias:
Weil Menschen die Auseinandersetzung mit sprachlicher Diskriminierung als Erbsenzählerei bezeichnen, werden solche Diskussionen wohl noch lange geführt werden. SPRACHE und DENKEN hängen miteinander zusammen und führen MIT dazu, dass in der „Realität“ noch immer Ungleichheit in unterschiedlichen Aspekten zwischen Frauen und Männern herrschen.
Aber klar, es ist ja auch viel einfacher, diejenigen, die das Thema der sprachlichen Diskriminierung aufgreifen, so darzustellen, als haben die halt ein Problem oder seien gar mit Komplexen beladen.
Mag es daran liegen, dass die Auseinandersetzung mit Sprache und Geschlecht für einige (auch vermeintlich selbstbewusste und emanzipierte Frauen und Männer) etwas zu komplex ist und sie deshalb diese ewigen Holzhammer-Argumente vorbringen …?
Frage: Erhalten die von Ihnen erwähnten selbstbewussten und emanzipierten Frauen auch zum Beispiel dasselbe Gehalt wie ihre männlichen Kollegen?
Zum Kommentar von Bernd Martin Rohde: Die realen Lohn-Ungleichheiten sind ein Übel und gehören beseitigt. Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass in Diskussionen zur geschlechtergerechten Sprache die Notwendigkeit einer ebensolchen automatisch in Abrede gestellt wird. Manchmal kommt mir das so vor, wie „Wir können uns erst dem Umweltschutz widmen, wenn niemand mehr Hunger leiden muss“.
Es gibt in unserem bibliothekarischen Berufsfeld ein viel grösseres Übel als „[…]Innen“ und „[…]/innen“. Dadurch, dass dieser Beruf als vorwiegend Frauenberuf angesehen wird, rangiert er auch in den Lohnklassen niedriger als ‚klassische Männerberufe‘ wie z.B. in den Ingenieurswissenschaften – zumindest nach meinen Erfahrungen.
Ein krasses Beispiel gefällig aus dem Lohnsystem des Kantons Bern (http://www.sta.be.ch/belex/d/1/153_011_1.html), in Anhang 1?
Gehaltsklasse 13: Bibliothekar(in)
Schauen Sie mal die Liste daraufhin durch, wo die anderen Berufe mit Fachhochschulabschluss stehen…
Das wir mit ‚Bänkern‘ und ‚BWLern‘ in der freien Wirtschaft nicht mithalten können ist wohl so hinzunehmen, aber soetwas innerhalb eines Lohnsystems im öffentlichen Dienst? Ist das nicht die weit grössere Diskriminierung?
Da wird auch heute noch Frauen der Zugang zu leitenden Positionen verwehrt und ihnen in gleicher Position weniger Gehalt gezahlt und anstatt diese Probleme anzupacken wird die deutsche Sprache bis zur Unlesbarkeit verstümmelt. Auf die Idee muss man erstmal kommen, dass mit dem Publizistenpreis keine Publizistinnen gemeint sind. Wieviel als Diskriminierungsspürsinn getarnte Erbsenzählerei hier zu Tage tritt. Oder Komplexe bei denen, die sich hier wirklich diskriminiert fühlen; tut mir leid, Sie haben ein Problem, aber das ist nicht das fehlende „-innen“.
Ich weiß, ich werde weiter so schreiben und reden, wie ich es gelernt habe. So wie es richtig ist, ohne Großbuchstaben und seltsame Sonderzeichen mitten in Wörtern. Und ich sehe mit Genugtuung, dass die selbstbewussten, emanzipierten Frauen, die ich kenne, es ebenso handhaben und über diese Sprachverstümmelung nur den Kopf schütteln.
von bibliothekarInnen, die als informationsspezialistInnen verantwortung im bereich der bildung tragen, erwarte ich mir in der frage einer geschlechtergerechten sprache eine besonders sensible haltung.
sprache bildet unsere wirklichkeit ab und zeigt, wie wir denken bzw. spiegelt sie die gesellschaftlichen verhältnisse wider. sie ist ständigen veränderungen unterworfen und entwickelt sich in einem dialektischen prozeß.
was heute noch „falsch“ ist, kann morgen schon „richtig“ sein. so würde sich der herr geheimrat goethe ordentlich wundern, wie 2011 in „deutschen landen“ gesprochen und geschrieben wird.
mein zugang ist ein einfacher: abgesehen von der einen oder anderen theoretischen überlegung in diesem zusammenhang, möchte ich als mann und autor des obigen beitrags nirgenwo mitgemeint werden. daher bemühe ich mich um eine geschlechtergerechte sprache bzw. darum, mitmenschen sprachlich nicht auszugrenzen. es ist sicher ideal und oft auch problemlos möglich, eine geschlechtsneutrale formulierung zu finden bzw. beide formen auszuschreiben. für alle leser und leserinnen, denen es bei der wahrnehmung von „journalistIn“ die zehennägel aufrollt, steht ja noch der Schrägstrich „journalist/in“ oder der unterstrich „journalist_in“ zur verfügung. für jene, denen das alles nicht gefällt, habe ich einen letzten vorschlag: meinen wir die männer doch einfach mit und sprechen bzw. schreiben wir nur mehr „die Journalist“. ;-)
@elisabeth ja, es dauert, bis „ärmelschoner“ und „dutt“ auch aus den köpfen verschwinden.
Meine erste Antwort war auf den ursprünglichen Beitrag bezogen.
Oh ja!! Gedacht sei nur an „Deutschen Bibliothekartag“.
Es muss wirklich schwer sein…
Wenn man sonst keine Probleme hat … Formulierungen wie „InitiatorInnen“, wie man sie im Blogbeitrag findet, sind allerdings auch keineswegs geschlechtergerecht, sonder einfach nur falsches Deutsch, denn heißt schließlich nicht „die Initiator des Preises“. Das gilt natürlich auch für „Journalisten/innen“, denn das Wort Journalisteninnen ist mir unbekannt.
Bevor man solche Konstrukte verwendet, sollte man beide Formen am besten ausschreiben, auch wenn das die Texte schwerer lesbar macht (das ist wohl der Preis der Emanzipation :))
Alternativ wäre noch eine neutrale Formulierung, z.B. „Studierende“ (ist das bei Journalisten dann „Journalierende“?).