Tom Mokkahoff liest Tom Mokkahoff

Tom Mokkahoff liest: „Kommen Sie rein, Knapp“
Mit diesem Text gewann Tom Mokkahoff den ersten Preis in der zweiten Stufe des Literaturpreises „Der Duft des Doppelpunktes“ zum Thema Literatur der Arbeitswelt. Der Text ist in der Anthologie „Rote Lilo trifft Wolfsmann“ (herausgegeben von Petra Öllinger und Georg Schober, 2008) erschienen.

[audio:http://petra-oellinger.at/Lesungen_mp3 dateien/Beitrag_Tom Mokkahoff_mp3 datei.mp3]

Aufnahme und Schnitt: Petra Öllinger
Musik: Gavin Coetzee – „Finch“


Tom Mokkahoff

Tom Mokkahoff

Tom Mokkahoff ist bekennender Wiener mit Philosophiestudium, Untermieter, Kaffeehausgeher, Parkwanderer. Er engagiert sich für die Worte „eiderdaus“ und „sapperlot“. Diverse Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften.
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KOMMEN SIE REIN, KNAPP

Kommen Sie rein, Knapp, setzen Sie sich.
Wie läuft es mit den Projekten? Gut? Das freut mich zu hören. Haben Sie da noch Potentiale identifizieren können? Sehr schön.
Aber ich wollte noch etwas anderes mit Ihnen besprechen. Sie wissen ja, dass wir gerade ziemlich unter Beschuss stehen. Die effizienzsteigernden Maßnahmen haben nicht ausreichend gegriffen, wir haben die Übernahme von VBS noch nicht richtig verdaut und die Analysten haben uns downgerated. Jetzt heißt es fressen oder gefressen werden, die Geier umkreisen uns.
Es wird gerade eine neue Strategie entwickelt. Wir müssen etwas tun, um unsere Zahlen in den Griff zu bekommen. Ich setze da voll auf Sie und Ihre Mithilfe, lieber Knapp.
Die letzten Zahlen – ich sage Ihnen das ganz im Vertrauen – sehen nämlich gar nicht gut aus. Sie können sich nicht vorstellen, wie die da oben Druck machen. Ich fürchte, ich kann nicht mehr alles abfangen. Wir müssen uns rasch etwas einfallen lassen.
Das heißt vor allem: Kosten senken. Und das werden wir auch, nicht wahr, Knapp? Deshalb haben wir ja auch die Berater im Haus, die festgestellt haben, dass wir aufgebläht sind. Verkrustet und erstarrt in der langen Periode von Gewinn und Wohlstand. Und Sie wissen ja, wie es ist. Wenn die das sagen, dann müssen wir handeln, nicht wahr, Knapp? Jetzt wird unser Portfolio analysiert, Outsourcing-Szenarios werden gerechnet, für den IT-Bereich ist ein Carve-Out angedacht und der Konzern wird in eine Holdingkonstruktion überführt. Natürlich werden wir auch intern umstrukturieren.
Ja, und deshalb haben wir uns entschlossen, – und glauben Sie mir, wir haben uns das nicht leicht gemacht – uns von Ihnen zu trennen.
Ich weiß, was Sie sagen wollen, Knapp. Auch ich finde es schade, ich bin erschüttert. Ich habe wie ein Löwe gekämpft für Sie, ich hab alles versucht, um Sie zu halten, ich war chancenlos. Aber gegen die Zahlen – Sie wissen es ja selbst am besten – gegen die Zahlen kommt man nicht an. So ist eben das Leben, und so ist das Geschäft, nicht wahr, Knapp? Freut mich, dass wir da einer Meinung sind.
Wir werden jedenfalls ein schönes Paket für Sie schnüren. Und wir bleiben in Kontakt, lieber Knapp. Natürlich, wir bleiben auf alle Fälle in Kontakt. Jetzt holen Sie mal Ihre Sachen. Die Personalabteilung freut sich schon auf Sie, um mit Ihnen Ihren weiteren Weg zu besprechen. Die haben keine Mühen gescheut und haben für Sie ein attraktives Outplacement-Programm gestaltet. Damit – und mit ihren Qualitäten – haben Sie sicher glänzende Perspektiven. Sie waren ja schließlich einer unserer Besten.
Also, alles Gute, Knapp, alles Gute.

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