Wie sieht es eigentlich aus hinter privaten Küchen- und Esszimmer Türen? Werden Messer gewetzt? Gläser geworfen? Wir der kulinarische Familien-Aufstand geprobt? Und wie ist das mit den Pommes Frites und dem frischen Gemüse? Warum halten sich „alte“ und vermeintlich ungesundes Essensverhaltensweisen, obwohl wir ständig mit neuen ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen konfrontiert werden.
Der Soziologe Jean-Claude Kaufmann und sein Team blicken in dieser Untersuchung in Kochtöpfe und auf (Familien-)Tische und führt die LeserInnen „mitten in die Komplexität der kulinarischen Alchimie hinein“.
Schon im ersten Kapitel (1. Teil „Die Nahrungsmittel: von der Ordnung zur Unordnung“) wird die LeserInnenschaft mit diversen „kleinen Arrangements“ konfrontiert, mit denen wir uns täglich kulinarisch in die Tasche lügen bzw. versuchen, alte Essgewohnheiten aufrechtzuerhalten. Die Wurst wird plötzlich natürlich, weil sie beim Fleischer und nicht im Supermarkt gekauft wird. Frischer Butter scheint automatisch etwas Hochqualitatives anzuhaften und Fleisch wird „verdinglicht“ und mit einer neuen Symbolik besetzt, zum Beispiel in Form von „Big Mac“, denn der „ist zuallererst ein Markenzeichen und dann erst ein Stück Rindfleisch oder Weizen“. (zitiert nach Badot, 2002). Hier wird auch schnell klar, warum sich neueste Erkenntnisse im Bereich der Ernährung, die scheinbar am laufenden Band produziert werden, kaum in den Köpfen geschweige denn in den Verhaltensweisen der KonsumentInnen dauerhaft durchsetzen.
Der zweite Teil („Bei Tisch“) geht der Frage nach, wie Familie hergestellt wird. „Im Kreis der Familie essen ist nicht harmlos, man kommt nicht ungeschoren davon, denn beim Essen konstruiert sich die ganze Persönlichkeit’ (Rivière 1995, S. 191).“ Bei Tisch, beim gemeinsamen Essen wird versucht, familiäre Gesetzesmäßigkeiten und Werthaltungen aufrechtzuhalten, verschiedene Spielarten werden ausprobiert: harmonisches Beisammensein, sich gegenseitiger Liebe versichern, zu Disziplin auffordern oder auch den Aufstand proben, indem man eben nicht am Tisch sitzt, sondern sich mit Häppchen aus dem Kühlschrank vor den Fernseher verdrückt. Die Familienkonstellationen, die hier herangezogen werden, sind allerdings traditionelle: Mutter, Vater, eigene Kind(er). Wie sich ein kulinarisches Beziehungsgeflecht innerhalb von Patchwokfamilien, zwischen Alleinerziehenden und ihren Kindern oder innerhalb von homosexuellen Beziehungen darstellt bzw. entwickelt, wird hier nicht beantwortet (und auch gar nicht angedacht).
Im dritten Teil („Am Herd“) geht es dann direkt an den Ort des Geschehens: in die Küche, an den Herd. Der Kochvorgang und alle dazugehörenden Tätigkeiten, beginnend bei der Planung des Einkaufs bis hin zum Abwasch nach dem Mahl werden, mit dem Focus auf mentale Vorgänge betrachtet. Kaufmann spricht hier zum Beispiel vom mentalen Druck der Organisation und der Koordination von Zeitabläufen , den diversen Bandbreiten von Stress, den kleinen Qualen („Ich habe keine Idee, was ich kochen soll.“) und negativen Energien, die überwunden werden müssen. Störend ist jedoch, dass der Autor vom „Küchenchef“ spricht, obwohl die Tatsche nicht zu leugnen ist, dass nach wie vor mehrheitlich Frauen für die kulinarische Versorgung der Familie zuständig sind – und ob sie sich selbst als Chef sehen, mag bezweifelt werden.
Natürlich stellen sich Fragen wie: Warum werden bestimmte Koch-Entscheidungen getroffen? Welche familiären und soziokulturellen Phänomene sind dafür ausschlaggebend?
Eine der Erklärungsversuche basiert unter anderem auf der Emanzipation der Frauen. Diese sind häufig nicht mehr dazu bereit, die familiäre Aufopferungsrolle inklusive der aufwändigen Zubereitung von Mahlzeiten, zu tragen. Fertigprodukte genügen, oder die Selbstbedienung der Familienmitglieder aus dem Kühlschrank.
Zuletzt entführt uns Kaufmann direkt zum Einkauf. Schon die Erstellung der Einkaufsliste erfordert eine komplexe mentale Leistung. Die Gefahr, dass sogar eine sorgfältige Planung, durch diverse Verführungen im Geschäft zum Kippen gebracht werden kann, ist offensichtlich – kann hier allerdings nur angedeut Durchaus lesenswert ist auch der methodische Teil von „Kochende Leidenschaft“. Die Tasche, die der Soziologe hier leert, ist teilweise übervoll an Themen wie zum Beispiel die religiöse Bedeutung von Mahlzeiten, Magersucht und Übergewicht oder die Emanzipation der Frauen. Diese Themen werden allerdings nur ansatzweise ausgebreitet, sodaß man sich oft einem Schwall an halbgaren Informationen gegenübersieht. Vielleicht wäre hier tatsächlich ein weniger mehr gewesen. „Es ist besser, weniger, sehr viel weniger Untersuchungen durchzuführen und ihre anthropologische Dichte die richtige Behandlung angedeihen zu lassen. Ich persönlich versuche nun, auf frühere Arbeiten zurückzugreifen, um sie neu zu bearbeiten.“ Der Titel „Kochende Leidenschaft“ – dessen Inhalt durchaus keinen Schmöker-Snack für Zwischendurch, weder inhaltlich noch sprachlich darstellt – weckt zu recht den Appetit auf diese Neu- und Weiterbearbeitungen.
So wird deutlich, mit wie viel Vorsicht Ergebnisse qualitativer Untersuchungen präsentiert bzw. interpretiert werden müssen. Bedingt durch unterschiedlichste Biografien der Befragten und der relativ kleinen Stichprobe – 22 Personen, davon 19 Frauen und drei Männer – sind keine hundertprozentig eindeutigen Resultate zu erwarten.
Der Soziologe ist sich dieser Schwierigkeit durchaus bewusst und thematisiert diese und eine weitere wissenschaftlich Fußangel, die die Datenerhebung betrifft. „Das verstehende Interview ist, wie sein Name schon sagt, unübertrefflich, wenn es darum geht, zu verstehen, besonders um soziale Prozesse zu beleuchten. Eine solche Produktivität erreicht man nur, wenn man es sehr flexibel anwendet. Das birgt dann das Risiko (und das ist der Schwachpunkt der Methode), dass die Apriori-Vorstellungen des Forschers die Schlussfolgerungen beeinflussen.“ Anstatt sich in weiteren Befragungen und deren Interpretationen zu ergehen, stellt er seiner eigenen Arbeit eine Reihe anderer Untersuchungen gegenüber. Und er relativiert die Ergebnisse der eigenen Arbeit. Ein Vorgehen, das unter WissenschafterInnen eher selten ist. „Unsere Auffassung, wonach die Analyse der Fakten so vonstatten gehen soll, wie man eine Tasche leert, ist viel zu eng.“ (Interessant ist auch, dass, wie in wissenschaftlichen Studien meistens üblich, theoretische Gerüste – im konkreten Fall z.B. Entscheidungstheorien – fehlen. )
Jean-Claude Kaufmann – Kochende Leidenschaft. Soziologie vom Kochen und Essen. (Casseroles, amour et crises. Ce que cuisiner veut dire.) Aus dem Französischen übersetzt von Anke Beck. UVK Verlagsgesellschaft mbH, 2006, Konstanz. 372 Seiten, € 20,50.
Petra Öllinger
Ich kenne das Buch nicht, möchte ich vorausschicken. Aber ich möchte dazu anmerken, dass in Büchern und Untersuchungen das Kochen vielfach mit Stress usw. in Verbindung gebracht wird. Kochen kann auch Lustgewinn bedeuten. Und der Zeitaufwand ist heute doch minimal, auch bei einem konventionellen Mittagstisch mit frisch eingekauften Waren, selbstzubereitet. Herde kochen selbst. Mir gefällt auch bei Untersuchungen nicht, dass z.B. Butter als meist nicht gesund angesehen wird. Es macht immer die Zusammensetzung und die Menge, ob etwas gesund oder ungesund ist. Mir scheint das Buch etwas zu klischeehaft zu sein.