Passend zu unserem Literaturpreis und hoffentlich auch motivierend, um daran teilzunehmen, ist die heutige Besprechung von Margit Hahns neuem Buch. Gelesen und rezensiert von Irene Wondratsch.
(„Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.“). Das scheint im Besonderen auf Margit Hahns „schöne neue Arbeitswelt“ zuzutreffen.
„Warum ist Katja Wolf derart brutal und feindselig und so beinhart. Sie will mich ruinieren, kaputt machen, erledigen, abservieren. Ich habe immer geglaubt, Frauen – und im Besonderen Mütter – sind bessere, menschlichere, verständnisvollere und rücksichtsvollere Führungskräfte. Irrtum!… Ich stehe unter Beobachtung. Ich darf mir keine Fehler erlauben. Ich darf nicht im Internet surfen und keine privaten E-Mails schreiben. Ich darf vom Firmentelefon aus keine privaten Gespräche führen. Ich darf mich mit den anderen Kollegen nicht unterhalten, um sie nicht von der Arbeit abzuhalten. Und die anderen dürfen nicht mit mir sprechen, das ist eine Anweisung, selbstverständlich nicht offiziell, aber keiner stellt sie in Frage, fast alle halten sich daran.“
Wo viele um ihren Job bangen müssen, ist der Boden für rücksichtslosen Konkurrenzkampf aufbereitet. In den Büros und Chefetagen wird intrigiert und gemobbt, gebuckelt und getreten, gezittert und gebangt und so mach eine/r stürzt von der Karriereleiter. Als LeserInnen betreten wir dabei nur allzu bekanntes Terrain. Die Autorin betrachtet diese krank(machend)e Realität mit schonungslosem Blick, rückt ihr mit dem Seziermesser zu Leibe um sie freizulegen. Dabei bedient sie sich gekonnt der Ironie und oft auch einer ins Absurde abdriftenden Übersteigerung.
Wohltuend, dass in ihren Erzählungen die im Berufsleben benachteiligten und diskriminierten Frauen nicht in der Opferrolle verharren, sondern sich solidarisieren und mit Klugheit zu wehren wissen.Befreiend auch Margits Hahn bissiger Humor und befriedigend ihre Lust an der Rache.
„Ist es Zufall, dass wir in unserer Büroküche Messer, Streichmesser, liegen haben?… Als ich in einem Anfall von Mut Katja Wolfs Büro betrete, ich habe nicht angeklopft, beginnt ihre Lebensuhr dem Ende zuzurasen … Ihr Körper rutscht vom Sessel auf den Boden…Ich hebe das Messer wieder auf, verlasse Katja Wolfs Büro, gehe in die Büroküche, lege das blutige Messer in den Geschirrspüler, schalte ihn ein, es soll sauber werden, richtig sauber, es wird weiterhin als Brotmesser gebraucht und ich habe es mir nur ausgeborgt…Nachher werden sie sagen, wahrscheinlich war es Selbstmord. Niemand war in ihrem Zimmer, nur sie. Wie das Messer in den Rücken gekommen ist? Typisch für Wolf. Immer spektakulär und den anderen die Schuld geben für eigenes Versagen. Ich werde wieder lachen. Lachen steckt an. Ich bin wieder ruhig. Ich werde mich wieder auf die Arbeit konzentrieren.“
Bemerkenswert, dass sich nicht nur die Arbeitswelt, sondern auch die Literatur der Arbeitswelt verändert hat. Hatte dieses Genre noch bis in die späten Siebzigerjahre hinein in erster Linie emanzipatorische, seltener auch literarische Bedeutung, so setzte mit Katrin Röglas Roman „Wir schlafen nicht“ eine Trendwende ein, die mit Margit Hahns Erzählungen „Totreden“ fortgesetzt wird.
Irene Wondratsch
Margit Hahn – Totreden. Erzählungen. Skarabäus, Innsbruck, Bozen, Wien, 2006. 184 Seiten, € 17,90.