Tagebuchaufzeichnungen und Berichte aus Wien-Mariahilf
Vor zwei Wochen erschien der Tagebuchausschnitt, in dem Herr Leopold u.a. kurz auf die beinahe-Schwalbentragödie hinwies. Heute erfahren Sie Genaueres darüber. Das transkribierte und aus dem Mausischen übersetzte Radiointerview mit Frau Elsbeth in „Held der Woche“, einer wöchentlichen Sendung auf FM-AUS mit Kasimir Šrevitz.
Mitschnitt der Sendung vom 31. Juli, 14.05-14.15 Uhr 1
Intro, Jingle
Ansage – Kasimir Šrevitz: Hey folks und friends von „Held der Woche“. Heute wieder mit Kasimir Šrevitz, sowie Almut Almý an den Reglern und Rupprecht aus dem Emmental am Regiepult. Als Gast in Studio begrüße ich heute Elsbeth, die mit einer, wow, extremen Extrem-Tat fünf Schwalbenkinder vor dem Verhungern gerettet hat. Hallo, Elsbeth.
Frau Elsbeth: Guten Tag.
Šrevitz: Elsbeth, ich darf du sagen, ja. Haha. Ja, also Elsbeth, du bist von deinen Nachbarn und Nachbarinnen (wir wollen heute ein bisschen geschlechtergerecht sprechen, haha) in der Windmühlgasse sowie von Zeuginnen (mit kleinem i, haha) und Zeugen des Vorfalls vor einigen Tagen zur Heldin dieser Woche gekürt worden.
Frau Elsbeth: Ja.
Šrevitz: Und was sich da abgespielt hat, hört ihr gleich nach der nächsten Nummer von den Toten Socken.
Musik
Šrevitz: Da sind wir wieder. Das waren die Toten Socken mit ihrem heurigen Top-Sommerhit „Wo geh ich ohne Hose hin“. Ihr lauscht der Sendung „Held der Woche“ und heute begrüße ich eine Heldin, haha, Elsbeth. Sie hat kürzlich eine Extrem-Wahnsinnsheldinnentat vollbracht. Fünf Schwalbenkids vor dem Verhungern bewahrt. Elsbeth, erzähl uns doch kurz die Vorgeschichte.
Frau Elsbeth: Ja, also … da …
Šrevitz: … entschuldige, wenn ich dich unterbreche. Ich gebe meinen Listenern eine kurze Vor-Info: Die Schwalbenkinder sind da am Dachboden …
Frau Elsbeth: … in der Steinrosette …
Šrevitz: … in der Steinrosette in der … nicht aus Fun und Tollerei gehockt. Und nun, Elsbeth, erzähl uns deine Story.
Frau Elsbeth: Ich sollte vielleicht kurz erwähnen, dass ich das Schwalbenehepaar Herr und Frau D’Orsette mittlerweile zwei Jahre kenne. Oft haben sie mir aus luftiger Höhe Mückenkuchen zukommen lassen, äh, also sie ließen ihn im Vorbeifliegen in den Garten in der Magdalenenstraße fallen. Da wohne ich im Sommer nämlich. Die Familie D’Orsette nutzt schon seit vielen Generationen den Platz zwischen Dachgiebel und Hausmauer, in einer Steinrosette.
Šrevitz (mit bedauernder Stimme): Und dann hat das Unglück seinen Lauf genommen.
Frau Elsbeth: Ja, denn da sind plötzlich …
Šrevitz (wieder mit fixer Stimme): Bevor’s nun weitergeht und es zum dramatischen Höhepunkt kommt, ein weiterer Top-Sommerhit. Die Hippi-Zippis mit ihrem „Schalalu“.
Musik
Šrevitz: So, nach Schalalu, weiter mit Oh, là là, wie der Franzose sagt, haha. Elsbeth und die D’Orsettes, deren Kinder vor dem Verhungern gerettet wurden. Elsbeth hat’s ja bereits angekündigt, vor zwei Wochen wurde damit begonnen ein riesiges, riesiges, hohes Baugerüst hochzuziehen. Elsbeth, wie ist es dann weitergegangen?
Frau Elsbeth: Nun, zuerst hat es noch keinen Anlass zu großer Sorge gegeben. Herr und Frau D‘Orsette konnten ihre Wohnung zwar mit einigen Hindernissen, aber immerhin noch erreichen. Obwohl, die Baumenschen haben natürlich viel Unruhe in ihr Leben gebracht. Das wirkliche Problem, Herr Švrevitz …
Šrevitz: Kasimir, einfach Kasimir, haha.
Frau Elsbeth: Das wirkliche Problem, Herr … Kasimir, hat einige Tage später begonnen, als ein Netz um das Baugerüst gespannt wurde.
Šrevitz: Leute, wisst ihr, was da geplant ist? Wir lösen das Rätsel gleich nach dem nächsten Song von Siri Butterfinger mit ihrem Schmeichelweichel-Song „Gimme your Grammelschmalzbrod“.
Musik
Šrevitz: Ja, Leute, ihr lauscht noch immer der Sendung „Held der Woche“, dieses Mal mit einer Top-Rettungsaktion in Top-Höhe. Fünf Schwalbenkinder wurden gerettet von Elsbeth, die ich heute hier in den heiligen Studiohallen, haha, begrüße. Netz und Baugerüst, was steckt da dahinter. Einige Schlauköpfe haben’s vielleicht zwischenzeitlich bereits erraten: ein Dachbodenausbau. Klingt easy, hat aber für einige geflügelte Mitbewohner schlimme Folgen, wie uns jetzt Elsbeth schildern wird.
Frau Elsbeth (hörbar darum bemüht, ihre Geschichte jetzt ohne Unterbrechung fertig erzählen zu können): Die Folge: Auf einmal sind Herr und Frau D‘Orsette von ihren fünf frisch geschlüpften und überaus hungrigen Kindern abgeschnitten. Frau D’Orsette ist ganz aufgeregt über meinem Sommersalettl gekreist und hat mir aus luftiger Höhe von dem Unglück erzählt. Da wird mir klar: Die Sache eilt, duldet keinen Aufschub. Meine Güte, diese Schwalbenkinder müssen ja fast minütlich gefüttert werden und ich mache mich …
Šrevitz: … und das sicher nicht mit Pommes und Hamburgern, haha …
Pause – betretenes Schweigen, dann setzt Frau Elsbeth fort: … und ich mach mich auf den Weg in die Otto-Bauer-Gasse, da quert von links, aus dem Richard-Waldemar-Park kommend, der Einäugige Erwin meinen Weg. Ein Bekannter von mir, der gern in den städtischen Parks herumstreunt und nach Essbarem sucht … Na, lassen wir das. Während wir nun zu zweit zum Unglücksort laufen, schildere ich ihm kurz die Situation. Dann sind wir schon vor dem Haus gestanden.
Šrevitz: Waaahnsinn, dieser Todesmut. Todesmutig bist du das Gerüst hinaufgeklettert. Wie hoch war das nochmal?
Frau Elsbeth: 500 Groß-Pfot 2.
Šrevitz: Waaahnsinn. 500 Groß-Pfot!
Frau Elsbeth: Ich bin aber nicht alleine hinaufgeklettert. Erwin hat versucht, mir über das Netz zu folgen. In circa acht Meter Höhe ist er plötzlich hängengeblieben. Ach, es war schrecklich anzuschauen, wie Erwin da im Bau-Netz baumelte. Aber ich musste weiter.
Šrevitz: Und dann hast du dich vorgehantelt bis zur …
Frau Elsbeth: … zur Steinrosette …
Šrevitz: … bis zur Steinrosette, wo …
Frau Elsbeth: Da habe ich das ganze Ausmaß des Dilemmas erst wirklich erkannt: Die fünf haben noch nicht fliegen können und an Evakuieren war nicht zu denken.
Šrevitz: Aber dann, der absolute Brainblizzard. Elsbeth, was ist dann passiert?
Frau Elsbeth: Ich habe nochmals auf Erwin runtergeschaut. Der hing zuerst da wie eine Fliege in einem Spinnennetz und dann habe ich gesehen, was er macht: Er hat ins Netz gebissen. Zuerst hat‘s mich geekelt, aber ich habe es gemacht: Ich habe ein Loch ins Netz geknabbert.
Šrevitz: Waaahnsinn.
Frau Elsbeth: Das Loch war groß genug, damit die Eltern ungehindert durchschlüpfen und ihre Kinder versorgen konnten.
Ich hoffe nur, die Kleinen werden rechtzeitig flügge, bevor das Loch wieder repariert wird.3
Šrevitz: Das hoffen wir auch. Und Erwin?
Frau Elsbeth: Der hat sich schließlich befreien können und …
Šrevitz: Waaahnsinn. Das war heute wieder eine Hammerstory. „Held der Woche“, heute mit Elsbeth und ihrer Schwalbenrettungsaktion. Tschau Elsbeth. Danke fürs Kommen.
Tschau-Tschau, Leute, bis zur nächsten Woche, wo wieder ein Held, oder eine Heldin, mit kleinem i, haha, gekürt wird.
Outro – Jingle
—
1 Bereits im vergangen Sommer war Frau Elsbeth „Held der Woche“ – so der Name der gleichnamigen Radiosendung von FM-AUS. Genaugenommen war sie Heldin der Woche. FM-AUS sendet aus der Webgasse und kann dank Internet von der Mäusecommunity weltweit empfangen werden.
Theophilus hielt es für eine gute Idee, dieses Interview zu veröffentlichen. Ich beugte mich seinem Wunsch und nahm telefonisch Kontakt mit dem Sendungs- und Regieverantwortlichen Ruppert aus dem Emmental auf. Ein Kennenlernen Rupperts in den Räumlichkeiten des Senders war mir aufgrund der Größenverhältnisse logischerweise nicht möglich, sodass diese Aufgabe Theophilus übertragen wurde. Da Mäuse keine Straßennummerierung vornehmen, mussten wir uns an die Wegbeschreibung von Ruppert aus dem Emmental halten („Der Eingang wird von ein paar Schwammerln gesäumt.“). Seine etwas vagen Angaben hatten zur Folge, dass wir jeden Gingkobaum in der Webgasse genau unter die Lupe nehmen mussten. Unter einem sehr windschiefen Exemplar gegenüber der Österreichischen Mediathek – sie enthält 1 Million Tonaufnahmen und Videos zur österreichischen Kultur- und Zeitgeschichte der Menschen – wurden wir schließlich fündig. Gemeinsam mit Ruppert aus dem Emmental und der Technikerin Almut Almý tauchte Theophilus in die Tiefen des Senderarchives ein und ackerte sich durch eine Unzahl von Aufnahmen. Nach beinahe drei Stunden hatten sie den Mitschnitt gefunden – auf dem Laptop von Almut Almý. Theophilus erhielt eine Kopie von der Datei. Ich machte mich anschließend an die Transkription des Interviews und übersetzte es mit Hilfe von Frau Professor Mechthild Scheiblett aus dem Mausischen. Das Resultat findet sich auf der folgenden Seite. Übrigens bekam nicht nur Frau Professor Scheiblett Kopfschmerzen beim Stimmenklang von Kasimir Šrevitz …
2 1 Groß-Pfot entspricht circa einem Siebtel eines durchschnittlichen Menschenfußes = 4 Zentimeter. Frau Elsbeth war also 20 Meter hochgeklettert. Waaahnsinn!
3 Die Rettung war gelungen, jedoch sollte Familie D’Orsette bald darauf ihre Sommerbleibe endgültig verlieren. Über dem ehemaligen Schwalbendomizil prangt nun funkelndes Fensterglas.
Fortsetzung folgt am 2. Juni 2015.
Alle bisherigen Abenteuer von Herrn Leopold finden Sie hier.