1994 veröffentlichte der Bibliothekar Rainer Pörzgen unter dem Titel „Weihnachten in der Bibliothek“ seine erste Weihnachtsgeschichte. Er bringt uns darin das weihnachtliche Gefühlsleben der BibliothekarInnen näher.
Weihnachten gilt als die Zeit, in der Menschen sich Gefühle erlauben. Das Fest der Liebe! Sie erinnern sich daran, daß sie Eltern und manchmal auch Kinder haben, und verbringen die Feiertage damit, gemeinsam mit ihnen zu essen, zu trinken und fernzusehen … oder aber: zu bedauern, daß sie nicht mit ihnen gemeinsam essen, trinken und fernsehen können. Manchmal nämlich sind Eltern schon tot oder Kinder undankbar oder umgekehrt. Darunter leiden dann die Gefühle. Aber insgesamt ist Weihnachten schon ein sehr freudvolles Fest. Bibliothekare machen da keine Ausnahme. Man kann sie in den hintersten Winkeln ihrer Bibliotheken finden, zwischen Regalen oder Katalogkästen, mit leicht unterspülten Augen und lametta-ähnlichen Fäden unter der Nase: ‘Ihr alle, die Ihr kommt in unsere Bibliotheken, es sei Euch vergeben, daß Ihr unsere Bücher befleckt oder beschädigt oder gar zu stehlen versucht, daß Ihr in diesen heiligen Hallen schwatzt oder eßt oder trinkt. Wir vergeben Euch Eure Frechheit und Eure Dummheit. Ja, wir lieben Euch. Fröhliche Weihnachten!‘ Und schwer gewordene Bibliothekarsherzen bumpern etwas schneller als sonst und das Blut durchströmt die trocken knisternden Adern.
Seither ist kein Jahr vergangen, in dem uns Rainer Pörzgen nicht eine weihnachtliche Geschichte unter den geschmückten Baum legte.
Er erinnert uns daran, wie mühselig sich das Surfen im Internet in den Neunzigerjahren oftmals gestaltete. Ob es ihm ein kleiner Trost war zu sehen, wie vier süße Weihnachtsengel ihr Gewand abstreiften und sich auf den Weihnachtsmann und Robin Williams stürzten, bevor der PC endgültig abstürzte? Wir wissen es nicht. Rainer Pörzgen weiß allerdings über den Besuch des Weihnachtsmannes mit seinem Rentier Rudolf in der Bibliothek zu berichten. Ob er mit dieser Geschichte die Präkarisierung unseres lieben Christkindls eingeläutet hat?
Ein andermal berichtet er über Kollegen Millhagen, ein ordentlicher Bibliothekar vom Scheitel bis zur Sohle, der eines schönen Tages dem Wahnsinn anheim fiel. – Es drängte ihn plötzlich, in den Räumen der Bibliothek, ein Ort der Ruhe und Kontemplation wie wir alle wissen, Weihnachtslieder zu singen und BesucherInnen der Bibliothek zum Mitsingen anzustiften. Den Höhepunkt an Verrücktheit erreichte er, in dem er inbrünstig „Stille Nacht Heilige Nacht“ intonierte. Ein Lied, das, wie wir alle wissen, ausschließlich am 24. Dezember, vor dem Lichterbaum, im Kreise der lieben Familie zu singen ist.
Möge Rainer Pörzgen uns noch viel Jahre mit seinen weihnachtlichen Geschichten beschenken!
Alle bisher veröffentlichten Weihnachtsgeschichten finden Sie auf der Seite „Bibliothekarische Weihnachtsgeschichten von Rainer Pörzgen“ im rechten Menü.