Herr Leopold bekommt gewaltigen Ärger

Tagebuchaufzeichnungen und Notizen aus Wien-Mariahilf

Herr Leopold Portraet31. Juli
Herrje, war mein erster Gedanke, als ich den Zettel las, den Theophilus auf dem Küchentisch zurückgelassen hatte. Herrje, herrjemine. Erwin und sich keine Sorgen machen! Das war mein zweiter. Das gibt gewaltigen Ärger, dachte ich als drittes.
Und den gab es dann auch. Als die beiden zurückkehrten, zierte Theophilus‘ Stirn eine riesige Beule und Erwin humpelte mit einer zerrissenen Hose daher. Theophilus erzählte wirres Zeug von Eisernen Jungfrauen und Zuckerln. Wie soll ich diesen Zustand seinen Eltern erklären?

Der post-it Zettel von Theophilus

Abbildung 4: Faksimile der Notiz von Theophilus auf Mausisch, die Herr Leopold in seinem Tagebuch aufbewahrte. Die Nachricht lautet übersetzt: Lieber Onkel Leopold! Ich bin mit dem Einäugigen Erwin im Haus des Meeres.
Mach dir keine Sorgen.

Dein Theophilus.

Einaeugiger Erwin Portraet

Bericht und Ergänzung von Erwin: Worin er sich mit Theophilus auf den Weg zum „Haus des Meeres“ macht, beide in einem nicht vertrauenserweckenden Eingang verschwinden und Unheil in einer Perücke stiften.

Der Kleine soll etwas erleben, denk ich mir. Ich frag ihn, ob er das Meer sehen will. Also, nicht nur schnuppern und Brise um die Ohren wacheln. Er nickt. Ich frag ihn, ob er was Gefährliches sehen will; Drachen und mäusefressende Fische und so was.
Es haut ihn fast aus den Patschen.
Tja, dann reicht die Matrosengasse wohl nicht aus, überleg ich und sag: „Haus des Meeres.“
„Ein Meer in einem Haus?“, fragt der Kleine.
„So in der Art. Lass dich überraschen.“
„Das geht nicht.“
„Was?“
„Wenn du sagst: ‚Lass dich überraschen‘, dann soll ich das Weite suchen.“
„Wer sagt so einen Topfen?“
„Onkel Leopold“, sagt der Kleine.
Hätt ich mir denken können, denk ich.
„Und?“, frag ich.
„Wie bitte?“, fragt der Kleine.
„Suchst jetzt das Weite?“, frag ich.
Er schüttelt den Kopf. Dann geht er in die Küche, krakelt was auf einen Zettel.

Wir also los. Es ist ein langer Hatscher, weil wir müssen nämlich über die Gumpendorferstraße durch den Esterházy-Park, wegen dem Fuchs und dem Esel und dem Ratten-Biber. Und auf dem Weg fragt mir der Kleine Käselöcher in den Bauch. „Gibt’s da wirklich Drachen?“, „Verspeisen diese Fische tatsächlich Mäuse?“, „Ist da wirklich ein Meer in dem Haus?“ und hört einfach nicht mehr auf. Dann endlich stehen wir vor dem Flacksturm und der Kleine ist fürs Erste schmähstad, ich fürcht, er kriegt ein steifes Gnack, wie er den Turm raufstarrt. Und während er so starrt, fragt er: „Wie kommen wir hinein, ohne dass uns jemand bemerkt?“

Ich will sagen „Lass dich über…“, kann mich aber noch rechtzeitig bremsen. Stattdessen sag ich: „Keine Sorge, ich kenn mich aus mit dem Meer. Drüben, hinter dem Gitter, wo sich die Turmstiege befindet, gibt’s einen Geheimgang.“
Und ich hoff, dass nicht wieder ein unnädiges Klumpert davorsteht. Letztens war’s ein riesiger Senfkübel, den hab nicht einmal ich beiseiteschieben können. Zum Glück ist heute alles frei und grad will ich durchs Gitter durch und zum Eingang wieseln, da zieht mich der Kleine am Ärmel und deutet auf was hinter uns. Ich denk noch, bitte nicht, da geht die Fragerei wieder los.
„Was steht da?“
„Keine Ahnung“, grumml ich und will in den Geheimgang.
„Ich denke, du kannst die Menschensprache?“
„Garage“, antwort ich und will in den Geheimgang.
„Das glaub ich nicht. Da sind grausliche Bilder aufgemalt. Das ist sicher keine Garage. Erwin, was steht da?“
Ich merk, dass es keinen Sinn hat, den Kleinen zu beschwindeln oder zu ignorieren, also sag ich, und hoff, dass die Antwort reicht, um da nicht runtersteigen zu müssen: „Foltermuseum.“
Jetzt blinkt’s und funkelt’s in den Augen von dem Kleinen. „Können wir nicht zuerst da hingehen?“
Und ich steh da, die linke Pfote auf dem Türgriff der geheimen Eingangstür, die rechte Pfote wird mir von einem Dreikäsehochjungmäuserich fast ausgerissen, weil der mich in Richtung von diesem Museum zerrt. Ich versuch’s noch mit dem Hinweis auf die Drachen im Haus des Meeres, aber die Folter siegt.
„Gut, wennst willst. Aber nicht, dass du dich danach beklagst, weil’s so gruselig war.“
Und schon stehen wir vor dem Eingang. Naservas. Der wirkt, ich geb‘s zu, nicht gerade vertrauenserweckend. Ein steile Stiege führt ins Schummrige, fast Dunkle. Bereits von oben hören wir ein Jammern und ein Klagen. Ich seh schon vor mir, wie es dem Kleinen das Fell sträubt, und will ihm erklären, dass das Gesudere nur vom Tonband kommt. Aber nix. Kein gesträubtes Fell, keine zitternden Schnurrbarthaare, keine flatternden Ohren. Wir klettern also über die hohen Stufen runter ins Schummrige, fast Dunkle. Und noch immer nix. Kein gesträubtes Fell, keine zitternden Schnurrbarthaare, keine flatternden Ohren. Im Gegenteil. Der Kleine ist begeistert und huscht gleich zur Eisernen Jungfrau und von der Eisernen Jungfrau zum Grillrost und vom Grillrost weiter in die Ecke mit den Kneifzangen und Daumenschrauben. Er hantelt sich an der Hose und der Jacke von einem Folterknecht aus Wachs hoch und springt auf dem seine Schulter. Zuerst komm ich ihm fast nicht nach. Schließlich gelingt‘s mir allerdings doch. Beide sitzen wir jetzt auf der Schulter eines ganz üblen Burschen.

Wie es weitergeht, erfahren Sie schon nächste Woche am 11. August 2015.
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