ERICH FRIED

Erich Fried 6. Mai 1921 – 22. November 1988

Erich Fried über schreibende ArbeiterInnen und die Literatur der Arbeitswelt

Erich Fried, geboren 1921 in Wien, lebte seit 1938 als jüdischer Emigrant in London und gilt als einer der bedeutendsten Lyriker des deutschen Sprachraums. Sein entschiedenes politisches Engagement (u.a. gegen den Vietnam- Krieg, die Politik Israels gegenüber den Palästinensern, die Formen der Terrorismus-Bekämpfung in der Bundesrepublik) hat ihn in vielen politischen Kontroversen geführt und ihm heftige Anfeindungen eingetragen. Er starb am 22.11. 1988

Auszug aus einem Gespräch, das Erich Fried anläßlich der Werkstattgespräche „Literatur und Politik“ am 13. Juni 1983 in Kindberg mit Erich Zwirner geführt hat:

Zwirner: Max von der Grün sagte einmal, Literatur der Arbeitswelt, das heißt, schreibende Arbeiter, sei Quatsch mit Soße. Seit acht Jahren aber ist er Mitglied der Jury der Literaturpreisvergabe der Arbeiterkammer Oberösterreichs, wo auch schon schreibenden Arbeiter mit Preisen bedacht wurden. Meine Frage, wie steht Erich Fried dazu?

Fried: Ich weiß genau, warum er das gesagt hat. Weil er sich über verschiedene Fehler, die im deutschen Werkkreis in der Literatur gemacht wurden, geärgert hat. Aber ich finde, das ist eine Verallgemeinerung. Ich glaube, daß Literatur der Arbeitswelt zwei große Vorteile hat. Erstens: Es ermutigt Menschen, die Arbeiter sind und die schreiben wollen, und das ist sehr wichtig. Es zwingt sie ja keiner, daß der, der nicht schreiben will, zu schreiben anfängt. Aber wenn einer ohnehin schreiben will, oder wenn er nicht einmal schreiben will, aber auf die Idee kommen könnte, daß das eine legitime Methode ist, um sich Luft zu machen, seine Erlebnisse nicht unartikuliert zu lassen, dann spielt das eine sehr wichtige Rolle.

Wenn man glaubt, daß Literatur der Arbeitswelt etwas ist, weil sie besser ist als jede andere Literatur, dann versucht man nur einen Kurzschlußausweg zu finden aus einer Gesellschaft, in der der Arbeiter in Wirklichkeit immer noch unterdrückt und benachteiligt ist. Ein Ausweg, den man nur dadurch finden kann, daß man die Gesellschaft verändert, dann macht man einen Fehler, wenn man das glaubt.

Es ist auch ein Fehler zu glauben, daß wirklich nur ein Arbeiter über Arbeiter schreiben kann. Zum Beispiel, wenn man an Emile Zolas „Germinal“ denkt. Zola war kein Arbeiter, aber er hat sich die Mühe genommen, wirklich ins Bergwerk zu gehen um sich die Leute anzuschauen. Er hat sich mit ihnen solidarisiert. Da ist mehr entstanden als eine bloße Mitleidsliteratur. Und in Wirklichkeit hat sich dann so Arbeiterliteratur zum Teil sogar an solchen Sachen ein Beispiel genommen.

Wenn wir die Literatur, die Werkkreisliteratur betrachten, so sehen wir sehr oft, daß gerade schreibende Arbeiter sich an bürgerlichen und kleinbürgerlichen Literaturformen noch ein Beispiel nehmen, denn es gibt ja in Wirklichkeit keine proletarische Kultur, sondern höchstens Ansätze zu einer solchen, weil ja das Proletariat sich dadurch unterscheidet – von früheren unterdrückten oder ausgebeuteten Klassen – daß ihm eigentlich alle eigenen kulturellen Möglichkeiten zunächst einmal abhanden gekommen ist. Das heißt nicht, daß sich nicht im Kampf auch kulturelle Errungenschaften ergeben haben, zum Beispiel das ganze Arbeiterbildungswerk und so, von dem aber heutzutage nicht so viel da ist wie in den besten Zeiten. Also ich glaub, die Sache hätte sich auch gar nicht so lange halten können, wenn nicht wirklich ein Bedürfnis dafür dagewesen wär bei den Arbeitern selbst. Ich glaub nicht, daß die Arbeiterliteratur, die auf diese Weise entsteht, sich einbilden soll, daß sie die einzige Literatur sei, auf die es ankommt. Ich glaube, sie braucht die Zusammenarbeit mit anderen Schriftstellern.

Die eine Sache an die ich glaube aber ist daß ein schreibender Arbeiter auch ein Lesender sein muß, und zwar nicht nur Literatur von Arbeitern lesen muß, sondern überhaupt sich anschauen muß, wie was geschrieben worden ist. Das heißt, wie Menschen unter verschiedenen Umständen etwas festhalten, an die Gestaltung ihrer Gedanken und Gefühle gegangen sind, denn daraus läßt sich was lernen. Wenn man das nicht tut, so beschränkt man sich in der Wahl seiner Mittel zu sehr. Dann kann man sozusagen über seine eigenen stilistischen Erfahrungen nicht hinauswachsen. Natürlich eine andere Gefahr kann sein, daß man von all dem, was man gelesen hat, betrunken wird, daß man schreibt als Literaturübung – und das ist falsch.

Schreiben soll niemals eine literarische Übung sein, sondern es soll dabei immer um das gehen, was einem am Herzen liegt. Um das Thema. Das sieht man auch dadurch, daß beim Korrigieren ein anständiger Schriftsteller niemals korrigieren wird um eines schönen literarischen Einfalls oder Wortspiels willen, obwohl er immer versuchen wird, den Stil unter Umständen zu verbessern, sonder im allgemeinen korrigiert, zu größerer Verständlichkeit, zu genauerer Darstellung dessen, um was es geht.

In den Zeiten der Arbeiterbildungsvereine – es ist sehr merkwürdig, wenn wir das heut anschau`n, daß eigentlich, obwohl damals Werke wie Upton Sinclair über amerikanische Arbeiterverhältnisse und Cronin über englische sehr beliebt waren, trotzdem Thomas Mann oder auch Goethes „Faust“ noch viel mehr gelesen wurden, und das halte ich für ganz gut, obwohl mir lieber gewesen wäre, wenn sie Heinrich Mann oder Leonhard Frank mehr gelesen hätten als Thomas Mann, weil dadurch, daß sie solche Dinge gelesen haben, die gedanklichen und sprachlichen Perspektiven erweitert wurden. Sie waren dann ja nicht gezwungen, das alles zu übernehmen. Aber was ihnen davon wirklich eingegangen war, sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen, das kam dann schon von selber heraus.

Werkkreis Literatur der Arbeitswelt: Veröffentlicht im Werkstattheft: „Literatur der Arbeitswelt – Steirische Werkstatt; Graz, im Frühjahr 1984. S. 17, 18.

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